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Biologie

Biophysik des Schlangenbisses enträtselt

Schlangengift verhält sich wie eine Nicht-Newtonsche Flüssigkeit

Mangroven-Natter, Boiga dendrophila © Dawson / CC-by-sa 2.5

Bei den meisten Schlangen sind die Giftzähne gar nicht hohl, sondern besitzen nur eine Furche außen am Zahn. Wie die Tiere es trotzdem schaffen, ihr Gift effektiv in ihre Opfer zu injizieren, hat jetzt ein deutsch-amerikanisches Forscherteam herausgefunden: Das Schlangengift ist extrem zähflüssig und klebrig, damit es nicht schon am Zahn abgestreift wird. Dringt der Biss jedoch in das Opfer ein, wird die Lösung plötzlich dünnflüssig und kann leicht vom Gewebe aufgenommen werden.

Schlangen injizieren ihr Gift durch einen hohlen Giftzahn in ihr Opfer – das glauben jedenfalls viele. Doch in Wirklichkeit besitzen die meisten Schlangen und viele andere giftige Reptilien gar keinen hohlen Zahn. Nur etwa ein Siebtel aller Giftschlangen nutzen, wie die Klapperschlange, diese Strategie. Die überwiegende Mehrheit jedoch hat ein anderes System entwickelt. Ein typischer Vertreter dieser Arten ist die Mangroven-Natter, Boiga dendrophila. Mit ihren Doppelzähnen reißt sie ein Loch in die Haut ihres Opfers. Zwischen den Zähnen und dem Gewebe fließt das Gift in die Wunde.

Gift ist extrem zähflüssig

Doch es geht noch einfacher: Viele Giftzähne haben lediglich eine Furche, an der entlang das Gift in die Wunde gelangt. Professor Leo van Hemmen, Biophysiker an der TU München, und Professor Bruce Young, Biologe an der Universität von Massachusetts, fragten sich, warum diese einfache Methode evolutionsbiologisch so erfolgreich sein konnte, obwohl beispielsweise Vogelfedern das offen auf dem Zahn entlang fließende Gift abstreifen können müssten. Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, untersuchten sie die Oberflächenspannung und die Viskosität verschiedener Schlangengifte.

Zahn einer giftigen Natternart (Bothryum lentiginosum) © Bruce A. Young, University of Massachusetts

Ihre Messungen zeigen, dass Schlangengift erstaunlich zähflüssig ist. Die Oberflächenspannung ist hoch, sie entspricht in etwa der von Wasser. Im Ergebnis ziehen die Oberflächenenergien einen Tropfen Schlangengift in die Rinne des Zahns, in der er sich dann ausbreitet. Durch eine optimale Geometrie der Zahnfurche und die Anpassung der Viskosität des Giftes haben sich die Schlangen im Laufe der Evolution auf ihre bevorzugten Opfer eingestellt. Vogelfressende Schlangen haben tiefere Furchen entwickelt, in denen das zähflüssige Gift von Vogelfedern nicht mehr abgestreift werden kann.

Fließen nach dem Ketschup-Prinzip

Gelöst haben die Forscher auch die Frage, wie die Schlange das Gift tief unter die Haut des Opfers bringt, denn erst dort kann es seine tödliche Wirkung entfalten. Auch hierfür haben Schlangen im Laufe der Evolution einen Trick entwickelt: Beißt die Schlange zu, bilden Zahnfurche und umliegendes Gewebe einen Kanal. Wie ein Löschblatt saugt das Gewebe das Gift durch diese Röhre. Und genau hierfür ist das Schlangengift in besonderer Weise zusammengesetzt: Wie Ketchup, der durch Schütteln deutlich flüssiger wird, lassen die durch den Sog auftretenden Scherkräfte das Schlangengift wesentlich dünnflüssiger werden, so das es dank der Oberflächenspannung schnell durch die Giftröhre einziehen kann.

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Flüssigkeiten, die sich so verhalten, nennen die Wissenschaftler Nicht- Newtonsche Flüssigkeiten. Für die Schlange hat dies eine höchst praktische Konsequenz: So lange keine Beute in Sicht ist, liegt das Gift zähflüssig und klebrig in der Rinne. Beißt die Schlange zu, fließen – wie bei Wein entlang des Glases – die giftigen „Tränen“ entlang der Furche in die Wunde und entfalten dort ihre tödliche Wirkung. (Physical Review Letters, 2011; DOI: 10.1103/PhysRevLett.106.198103)

(Technische Universität München, 17.05.2011 – NPO)

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