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Biotechnologie

Erste „Anthrobots“ aus menschlichen Zellen

Biologische Mini-Roboter sind selbstorganisierend und heilen Nervenschäden in Zellkultur

Anthrobot
Dieser "Anthrobot" entstand aus einer menschlichen Bronchienzelle und zeigt nun neue, teils unerwartete Fähigkeiten. © Gizem Gumuskaya/ Tufts University

Zelluläre Selbstorganisation: Forscher haben erstmals biologische Roboter aus menschlichen Zellen konstruiert – ohne Genmanipulation oder andere verändernde Eingriffe. Die aus Schleimhautzellen erzeugten „Anthrobots“ bilden selbstständig verschieden geformte, bewegliche Zelleinheiten, die neue Funktionen ausüben. So brachten sie Neuronen in Kultur dazu, einen Schaden zu überbrücken und wieder zusammenzuwachsen – etwas, das diese Nervenzellen von allein nicht konnten. Auch andere biomedizinische Anwendungen wären denkbar, so das Team.

Schon seit längerem experimentieren Wissenschaftler mit kleinen Mikro-Robotern auf Basis biologischer Moleküle und lebender Zellen. Beispiel dafür sind Nanoroboter und Nanomaschinen aus DNA, aber auch Hybrid-Konstrukte aus Herzzellen und Kunststoff oder ein Roboter-Rochen aus lebenden Muskelzellen und Elektronik-Komponenten. 2021 gelang es einem Team dann erstmals, komplett biologische, selbstorganisierende Mikro-Roboter aus Zellen des Krallenfrosches Xenopus zu erzeugen. Diese „Xenobots“ konnten navigieren, Material oder Information sammeln und sich bei Verletzung selbst heilen.

Anthrobots
Je nach Anordnung der Cilien auf der Oberfläche können sich die zellulären Biobots auf verschiedene Weise bewegen. © Gizem Gumuskaya/ Tufts University

Biobots aus unveränderten menschlichen Zellen

Doch könnten auch menschliche Zellen ohne Eingriffe in ihre DNA oder andere veränderte Manipulationen solche autonomen Biobots bilden? „Wir wollten wissen, ob diese Fähigkeit, ohne Genmanipulation eine multizelluläre, fortbewegungsfähige lebende Struktur zu bilden, nur auf Amphibienzellen beschränkt ist“, erklären Gizem Gumuskaya von der Harvard University und seine Kollegen. „Dafür wählten wir ein zelluläres Substrat, für das dies besonders überraschend wäre: das Gewebe der menschlichen Atemwegsschleimhaut.“

Für ihr Experiment entnahmen die Forschenden Proben aus dem cilienbesetzten Schleimhautgewebe der menschlichen Bronchien und züchteten die Zellen in Kultur weiter. Aus früheren Versuchen war bereits bekannt, dass diese Zellen unter geeigneten Bedingen von selbst rundliche Gebilde mit ciliengefüllten Hohlräumen bilden können. „Wir haben die Kulturbedingungen nun so abgewandelt, dass diese Zellen stattdessen Spheroide mit außenliegenden Cilien bilden“, berichtet das Team.

Selbstorganisierte, mobile Einheiten

Schon nach zwei Wochen waren auf diese Weise zahlreiche multizelluläre Gebilde entstanden, die sich mithilfe ihrer Cilien selbstständig durch die Kulturlösung bewegten. Einige dieser zwischen 30 und 500 Mikrometer großen Gebilde waren kugelförmig und rundherum bewimpert, andere waren eher länglich oder unregelmäßig geformt. Die Forschenden haben diese Gebilde „Anthrobots“ getauft – analog zu den Xenobots, deren Name ebenfalls auf die Herkunft ihrer Zellen hinweist.

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„Diese Anthrobots bilden sich im Labor von ganz allein“, erklärt Gumuskaya. „Anders als die Xenobots benötigen sie keine Pinzetten oder Skalpelle, um sie in diese Formen zu bringen. Außerdem können wir Zellen erwachsener Menschen statt embryonaler Zellen dafür verwenden.“ Die umherschwimmenden Gebilde aus menschlichen Zellen lassen sich demnach allein durch spezielle Kulturbedingungen aus dem Gewebe jedes Menschen gewinnen.

Anthrobots und Neuronen
Eine Ansammlung von Anthrobots (grün) stimuliert das Einwachsen von Neuronen (rot) in eine Lücke. © Gizem Gumuskaya/ Tufts University

Anthrobots bringen Neuronen zum Wachsen

Doch welchen Sinn oder Vorteil hat dies? Das demonstrierte ein erster Test – mit unerwarteten Ergebnissen. Dafür verwendeten die Forschenden eine Zellkultur menschlicher Neuronen, deren geschlossenen Zellteppich sie durch Einritzen zerstörten. In dem Nervengewebe klaffte dadurch eine Lücke. Dann platzierten sie einige Klumpen von Anthrobots in diese Lücke und warteten ab, was geschah.

Das überraschende Ergebnis: Obwohl die Anthrobots aus Bronchienzellen bestanden, brachte ihre bloße Gegenwart die Neuronen dazu, in die Lücke einzuwachsen und die Verletzung zu heilen. Ohne die Anthrobots fand hingegen keine Heilung des Nervenschadens statt. „Es ist faszinierend und völlig unerwartet, dass normale, nicht DNA-modifizierte Bronchienzellen eines Patienten, das Wachstum von Neuronen über einen Schaden hinweg fördern können“, sagt Seniorautor Michael Levin von der Tufts University.

Wie die Anthrobots diese heilende Funktion ausüben, ist noch unbekannt. „Wir untersuchen zurzeit noch, wie dieser Heilungsmechanismus funktioniert und auch, was diese Konstrukte sonst noch tun können“, sagt Levin. „Offensichtlich haben diese im Labor erzeugten Zellansammlungen Fähigkeiten, die über das hinausgehen, was diese Zellen normalerweise im menschlichen Körper tun.“

Vielseitige Anwendungen denkbar

Nach Ansicht der Wissenschaftler eröffnet dies neue Möglichkeiten für die Biomedizin, beispielsweise indem man solche Biobots zu diagnostischen oder therapeutischen Zwecken einsetzt. Sie könnten beispielsweise Medikamente zu bestimmten Zielorten im Körper von Patienten bringen, Nervengewebe reparieren helfen oder vielleicht sogar schädliche Ablagerungen in Gefäßen wie bei der Arteriosklerose beseitigen. Weil die Anthrobots einfach und schnell aus den eigenen Zellen eines Patienten gezüchtet werden können, träten dabei auch keine Abstoßungsreaktionen auf, wie das Team erklärt.

„Indem wir die Umweltbedingungen in der Zellkultur kontrollieren, können neuartige Strukturen entstehen, die neue und unerwartete Verhaltensweise und biomedizinisch relevante Fähigkeiten zeigen“, schreiben die Forschenden. Ein weiterer Vorteil: Da die Anthrobots nicht genverändert sind, behandelt der menschliche Körper sie wie ganz normale eigene Zellen und baut sie auch ganz normal wieder ab, erklären Gumuskaya und seine Kollegen. Auch das Risiko, das von genetisch veränderten Konstrukten ausgeht, entfalle hier. (Advanced Science, 2023; doi: 10.1002/advs.202303575)

Quelle: Tufts University

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