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Astronomie

Riesiger Bogen aus Galaxien im frühen Kosmos

James-Webb-Teleskop enthüllt zwölf Milliarden Lichtjahre entfernte Großstruktur aus Galaxien

Cosmic Vine
Wie ein riesiger Bogen zieht sich dieses Ensemble aus insgesamt 20 Galaxien durch das frühe Universum. © Jin et al./ arXiv-Preprint, doi: 10.48550/arXiv.2311.04867

Früher Gigant: Astronomen haben eine ungewöhnlich ausgedehnte Großstruktur im frühen Kosmos entdeckt. Es handelt sich um einen aus rund 20 Galaxien bestehenden Bogen, der bereits vor rund zwölf Milliarden Jahren existierte. Der „Cosmic Vine“ – kosmische Weinranke – getaufte Galaxienverbund ist mehr als 13 Millionen Lichtjahre lang und damit größer als die meisten anderen Galaxienhaufen dieser Zeit, wie das Team berichtet. Überraschend ist auch, dass die beiden größten Galaxien im Verbund offenbar kaum noch Sterne bilden.

Galaxienhaufen gehören zu den größten Strukturen des Kosmos. Sie bestehen aus hunderten bis tausenden Galaxien, die durch Schwerkraftinteraktionen aneinandergebunden sind. Insgesamt können solche Galaxiencluster bis zu einer Billiarde Sonnenmassen in sich vereinen. Gängiger Annahme nach bildeten sich die Vorläufer dieser Giganten aus deutlich kleineren „Protoclustern“ im frühen Kosmos. Einige dieser frühen Cluster-Vorläufer waren jedoch überraschend massereich. Wie sie so schnell heranwachsen konnten, ist bisher unklar.

Protocluster
Gängiger Annahme nach entstanden Galaxienhaufen aus Protoclustern von stark interagierenden und schnell wachsenden Galaxien. Hier die künstlerische Darstellung eines solchen Protoclusters.© ESO/M. Kornmesser/ CC-by 4.0

„Kosmische Weinranke“ aus 20 frühen Galaxien

Jetzt haben Astronomen um Shuowen Jin vom Cosmic Dawn Center in Dänemark eine weitere ungewöhnlich große Galaxien-Ansammlung im frühen Kosmos entdeckt. Sie trat zutage, als das Team Aufnahmen des NIRSpec-Spektrometers des James-Webb-Teleskops auswertete, um auf Basis der Rotverschiebung nach besonders alten Galaxien zu suchen. Im Himmelsareal zwischen den Konstellationen Großer Bär und Bärenhüter (Boötes) wurden sie fündig.

In rund zwölf Milliarden Lichtjahren Entfernung identifizierten die Astronomen eine aus rund 20 Galaxien bestehende, bogenförmige Großstruktur, die sie „Cosmic Vine“ – kosmische Weinranke – tauften. „Bemerkenswert ist, dass diese Struktur sehr lang ist: Sie ist rund 13 Millionen Lichtjahre lang, aber nur 650.000 Lichtjahre breit“, berichten Jin und sein Team. „Damit ist das Cosmic Vine signifikant größer als anderen kompakte Galaxiengruppen und Protocluster mit dieser Rotverschiebung.“

Die ungewöhnliche Größe der neuentdeckte Galaxien-Ansammlung spiegelt sich auch in ihrer Masse wider: Obwohl die „kosmische Weinranke“ noch im Wachstum begriffen ist, umfasst sie bereits rund 260 Milliarden Sonnenmassen. Im heutigen Universum könnte die Struktur zu einem Galaxienhaufen von mehr als 100 Billionen Sonnenmassen herangewachsen sein, so die Schätzung der Astronomen.

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Gestoppte Sternbildung

Merkwürdig jedoch: Obwohl dieser frühe Vorläufer eines Galaxienhaufens noch heranwächst, haben seine beiden massereichsten und größten Galaxien ihre Sternbildung weitgehend eingestellt, wie Jin und sein Team beobachteten. Beide Galaxien umfassen mehr als zehn Milliarden Sonnenmassen und haben einen zentralen, sternreichen Bulge ausgebildet – Kennzeichen einer reifen Galaxie. Dennoch müssten sie gängigen Modellen zufolge weiterhin eine intensive Sternbildung aufweisen.

Zwar sagen Theorien voraus, dass es in Galaxienhaufen zu Interaktionen kommen kann, durch die von außen einfallende Galaxien ihren Gasvorrat verlieren. Ihre Sternbildung stoppt daher vorzeitig aus Mangel an Rohmaterial für neue Sterne. Doch die beiden großen Galaxien im Cosmic Vine passen nicht in dieses Bild, wie die Astronomen erklären: Eine von ihnen liegt relativ isoliert am Rand des Bogens, die andere liegt mittig im dichtesten Teil der Ansammlung, was eher gegen einen nachträglichen Einfall spricht.

Offene Fragen bleiben

Warum die beiden größten Galaxien im Cosmic Vine ihre Sternbildung stoppten, ist daher noch unklar. Jin und sein Team vermuten jedoch, dass vielleicht eine zurückliegende Galaxienverschmelzung dahinterstecken könnte. Zumindest bei einer der beiden Galaxien gibt es dafür Anzeichen in Form eines lang ausgezogenen Gezeitenschweifs, wie sie berichten. Denkbar wäre aber auch ein in der Vergangenheit besonders aktives Schwarzes Loch im Galaxienzentrum, das das Gas aufgezehrt hat.

In jedem Fall wirft die Entdeckung der „kosmischen Weinranke“ neue Fragen zur Entwicklung der massereichen Galaxienhaufen im Kosmos auf. „Wir haben festgestellt, dass die Sternbildungsraten der massereichen quieszenten Galaxien dieser Ära zwei Größenordnungen niedriger sind als es die TNG300-Simulation für solche hellen Clustergalaxien zu dieser Zeit angibt“, berichten die Astronomen. „Diese Diskrepanz stellt eine Herausforderung für die Modelle zur Bildung der massereichen Galaxiencluster dar.“ (Astronomy & Astrophysics, submitted; arXiv-Preprint, doi: 10.48550/arXiv.2311.04867)

Quelle: Arxiv

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