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Sonnensystem

Wie ein Mondfragment zum Erdtrabanten wurde

Der irdische Quasi-Satellit Kamo’oalewa könnte doch vom Mond stammen

Asteroid und Erde
Der Asteroid Kamo'oalewa umkreist als Quasi-Satellit die Erde. Doch wo kommt er her? © dzika_mrowka/ Getty images

Selten, aber möglich: Der Asteroid Kamo’oalewa umkreist die Erde als Mini-Mond, doch seine Herkunft ist strittig – einige Astronomen halten ihn für ein Mondfragment, andere halten dies für unmöglich. Doch nun bestätigt eine Rekonstruktion: Der rund 50 Meter große Erdtrabant Kamo’oalewa könnte doch vom Mond stammen. Das Ausschleudern eines Mondbrockens durch einen Einschlag und der anschließende Wechsel in eine Erdumlaufbahn sind zwar selten, aber möglich. Daher könnten auch andere erdnahe Asteroiden ursprünglich lunaren Ursprungs sein.

Die meisten Asteroiden kreisen um die Sonne, beispielsweise im Asteroidengürtel. Doch es gibt auch Brocken, deren Bahnen an die Erde gebunden sind. Sie pendeln dann in hufeisenförmigen Bahnen um uns herum oder umkreisen die Erde als Mini-Monde. Die meisten dieser Quasi-Satelliten wurden durch Kollisionen oder Schwerkraft-Turbulenzen aus dem Asteroidengürtel ausgeschleudert und dann von der Erdschwerkraft eingefangen. Zurzeit sind 21 Asteroiden auf co-orbitalen Bahnen um die Erde bekannt: zwei Trojaner, sechs Quasi-Satelliten und 13 in Hufeisenbahnen.

Ein Quasi-Satellit namens Kamo’oalewa

Ein Sonderfall ist jedoch der erst vor wenigen Jahren entdeckte Quasi-Satellit Kamo’oalewa: Dieser rund 50 Meter große Asteroid wechselt zwischen Erdumkreisung und einer hufeisenförmigen Bahn, die ihn mal der Erde vorauseilen lässt und mal hinter ihr herfliegen. Anders als andere Erdbegleiter, die Orbit und Erdbahn meist nach wenigen Monaten oder Jahren wieder verlassen, hält sich Kamo’oalewa schon ungewöhnlich lange in Erdnähe auf.

„Der letzte Übergang von der Hufeisenbahn zum aktuellen Quasi-Satelliten-Status ereignete sich vor knapp einem Jahrhundert“, berichten Jose Castro-Cisneros von der University of Arizona und seine Kollegen. In weiteren 300 Jahren wird Kamo’oalewa ihren Berechnungen zufolge wieder in die Hufeisenbahn zurückwechseln. „Diese Wechsel könnten sich über hunderttausende oder sogar Millionen Jahre fortsetzen“, so die Wissenschaftler.

Rekonstruktion der Bahnwechsel von Kamo’oalewa.© University of Arizona

Rätsel um die Herkunft des Mini-Monds

Doch warum verhält sich Kamo’oalewa so anders als andere erdbegleitende Asteroiden? Und wo kam er einst her? Spektrale Beobachtungen des Asteroiden ergaben bereits, dass er sich in seiner Zusammensetzung deutlich von typischen erdnahen Asteroiden unterscheidet. Stattdessen ähnelt das chemische Profil des Quasi-Satelliten eher dem von lunarem Regolith. 2021 mutmaßte daher bereits ein Forscherteam, dass Kamo’oalewa vielleicht ein Mondbrocken sein könnte, der durch einen Meteoriteneinschlag aus der Mondoberfläche herausgeschlagen wurde.

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Das Problem jedoch: Bisher galt ein solches Szenario als extrem unwahrscheinlich bis unmöglich. „Wenn ein Mondfragment genügend kinetische Energie hat, um der Mondschwerkraft zu entkommen, dann hat es zu viel Energie, um als Quasi-Satellit in eine Umlaufbahn um die Erde einzuschwenken“, erklärt Seniorautorin Renu Malhotra von der University of Arizona.

Virtuelles Asteroiden-Billard

Doch ist das wirklich in jedem Falle so? Um das herauszufinden, haben die Forschenden verschiedene Szenarien mithilfe einer numerischen Simulation durchgespielt. Dafür ließen sie virtuelle Testbrocken durch lunare Einschläge in unterschiedlichen Winkeln, Geschwindigkeiten und Mondregionen ins All katapultieren und beobachteten dann, welche Flugbahnen sie entwickelten.

Das Ergebnis: Der Großteil der vom virtuellen Mond ausgeschleuderten Testbrocken schaffte es tatsächlich nicht in eine erdnahe Umlaufbahn. „Es gibt eine dynamische Barriere zwischen lunaren Ejekta und co-orbitalen Zuständen“, so das Team. Deswegen werden die meisten solcher Mondfragmente zu sogenannten Aten- und Apollo-Asteroiden, die die Sonne teilweise innerhalb der Erdbahn und diese kreuzend umkreisen. Dies gilt vor allem für lunare Brocken, die mit relativ hohem Tempo ausgeschleudert werden.

Simulation
Zusammenhang von Ursprungsregion und Ausschleudertempo für die Bahnen der virtuellen Mondbrocken. Rote Punkte enden in Hufeisenbahnen, schwarze als Quasi-Satelliten der Erde. © Castro-Cisneros et al./ Communications Earth & Environment, CC-by 4.0

Langsame Brocken können zu Erdbegleitern werden

Doch das gilt nicht für alle: „Wir haben festgestellt, dass 6,6 Prozent aller ausgeschleuderten Partikel zumindest zeitweise in eine co-orbitale Bewegung einschwenkten, davon die meisten – 5,8 Prozent – in Hufeisenbahnen und 0,8 Prozent in wechselnde Hufeisen- und Quasi-Satelliten-Bahnen“, berichten Castro-Cisneros und seine Kollegen. Es ist demnach zwar selten, aber keineswegs unmöglich, dass ein Brocken von der Mondoberfläche ausgeschleudert und dann zum Erdtrabanten wird. „Die Existenz solcher Bahnen stärkt die Hypothese, nach der Kamo’oalewa ein Mondfragment sein könnte“, schreiben die Forschenden.

Die Simulation zeigte auch, wann die Wahrscheinlichkeit für den Wechsel eines ausgeschleuderten Mondfragments in eine Erdumlaufbahn am größten ist. Demnach haben vor allem die Mondbrocken eine Chance, deren Tempo beim Ausschleudern nur knapp über der auf dem Mond nötigen Fluchtgeschwindigkeit von 2,4 Kilometern pro Sekunde liegt. Ebenfalls günstig ist es, wenn diese Asteroiden von der Rückseite des Mondes in Bezug auf seine Bahnrichtung stammen – auch dies verlangsamt ihren weiteren Flug etwas.

Auch langlebige Orbits möglich

Interessant auch: Die meisten Asteroiden blieben auch in der Simulation nur kurze Zeit in Erdnähe. Aber gab es auch einige Mondfragmente, deren Bahndynamik ähnlich stabil war wie bei Kamo’oalewa. „Die Orbits dieser Partikel zeigten sich wiederholende Übergänge von Quasi-Satelliten zu Hufeisenbahnen, die über tausende von Jahren stabil blieben“, berichtet das Team. So zeigte einer dieser seltenen Testbrocken beispielsweise ein Bahnschema, bei dem er 400 bis 600 Jahre ein Quasi-Satellit der Erde war und in kürzeren Intervallen dazwischen einer Hufeisenbahn folgte – ähnlich wie Kamo’oalewa.

„Auch dies bestätigt, dass der Mond durchaus ein wahrscheinlicher Ausgangsort für Kamo’oalewa ist“, sagt Malhotra. Sie und ihr Team vermuten zudem, dass auch andere Asteroiden im nahen Erdumfeld vom Mond stammen könnten. (Communications Earth & Environment, 2023; doi: 10.5281/zenodo.8339513)

Quelle: University of Arizona

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