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„Pockennarben“: Unterschätzte Methanschleudern?

Senken enthüllen unerwartet hohe Anfälligkeit von Methanhydraten im Meeresgrund

Methanhydrat
Methanhydrat kommt im Meeresgrund entlang vieler Kontinent-Küsten vor. Solange es gefroren und unter Druck bleibt, ist es stabil. Bei Erwärmung setzt es jedoch Methangas frei. © GEOMAR

Unterschätzte Gefahr? Die vor vielen Küsten im Meeresgrund lagernden Methanhydrate sind offenbar anfälliger als bisher gedacht. Denn dieses „brennende Eis“ könnte nicht nur im oberen, wärmsten Bereich abtauen und Methan ausgasen – auch Gashydrat aus tieferen Lagen kann mobilisiert werden, wie Beobachtungen vor Mauretanien enthüllen. Eine fortschreitende Erwärmung könnte dadurch mehr klimaschädliches Methan aus den Hydratvorkommen freisetzen als Prognosen vorsahen, wie die Forscher in „Nature Geoscience“ berichten.

Der Meeresgrund entlang der Kontinentränder enthält eines der größten Reservoire kohlenstoffhaltiger Klimagase auf diesem Planeten: Methanhydrat. In diesen käfigförmigen, durch Kälte und Druck stabilisierten Molekülen sind Milliarden Tonnen Methan gespeichert. Doch wenn sich der Meeresgrund erwärmt, tauen die Gashydrate und das potente Treibhausgas wird frei. Schon jetzt ist dies an mehreren Stellen der marinen Schelfhänge der Fall, unter anderem entlang der US-Küsten, vor Japan und sogar im Nordpolarmeer.

Gashydrat-Struktur
Gashydrat besteht aus käfigförmig angeordneten, gefrorenen Wassermolekülen, die in ihrem Inneren Methan einschließen. © Jens Greinert/ GEOMAR

Wie hoch ist die Klimagefahr durch Gashydrate?

Bisher gingen Wissenschaftler davon aus, dass nur der obere Rand der Hydratvorkommen bei einer weiteren Erwärmung der Meere tauen wird. Diese Zone liegt im Bereich von rund 450 bis 700 Meter Tiefe. „Sie repräsentiert jedoch nur 3,5 Prozent des globalen Gashydrat-Reservoirs“, erklären Richard Davies von der Newcastle University und seine Kollegen. „Das Potenzial für ein Entweichen des Methans aus tiefer gelegenen Hydraten galt hingegen als vernachlässigbar.“

Diese Annahme könnte sich nun als falsch erweisen. Denn Davies und sein Team haben entdeckt, dass Methanhydrate auch unterhalb der potenziell anfälligen Tiefenzone ausgasen können. Die ersten Hinweise darauf lieferten seismische Daten vom Kontinentalhang vor der Küste Mauretaniens. Sie zeigen die Struktur des Meeresgrunds in einem rund 64 Kilometer langen Streifen am Rand des afrikanischen Kontinentalschelfs. Dort fällt der Meeresgrund von 330 Meter bis auf 2.100 Meter Tiefe ab. Die Oberkante der Methanhydrat-Vorkommen liegt in diesem Gebiet in rund 640 Meter Tiefe.

„Pockennarben“ jenseits der Methanhydratzone

Die Aufnahmen enthüllten 23 große, kraterähnliche „Pockennarben“ am Meeresgrund. Normalerweise markieren solche Krater die Stellen, an denen Methanhydrate instabil geworden sind und größere Mengen Methan aus dem Meeresgrund austreten. „Diese vor Mauretanien entdeckten Krater sind 900 bis 1.600 Meter breit und 20 bis 50 Meer tief“, berichten die Forscher. Einige „Pockmarks“ waren von Sediment bedeckt, andere schienen dagegen frisch zu sein.

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Das Merkwürdige jedoch: Normalerweise kommen solche „Pockennarben“ nur in der anfälligen Zone der Methanhydrate vor – in dem Bereich, in dem der oberen Rad der Hydratvorkommen liegt. Doch im Untersuchungsgebiet vor Mauretanien lagen diese Krater deutlich oberhalb der Gashydratzone – in einem Gebiet des Meeresgrunds, unter dem es keine Methanaustritte oder Methanhydrate geben dürfte. In einigen Fällen lagen die „Pockennarben“ bis zu 40 Kilometer landeinwärts der Methanhydratgrenze, wie Davies und sein Team berichten.

Unterirdischer Methan-Transport

Wie aber kamen diese Gasaustritte zustande? Nähere Analysen der seismischen Daten enthüllten, dass das an den Kratern austretende Methan offenbar nicht aus Quellen vor Ort stammt, sondern aus weit tiefer gelegenen Hydratvorkommen. „Diese ‚Pockmarks‘ bildeten sich durch Methan, das aus Hydraten von den tiefsten Teilen des Kontinentalhangs entwichen ist“, erklärt Davies. Das Gas stammt demnach nicht vom Rand der Methanhydratvorkommen, sondern wurde über durchlässige Schichten im Sediment aus weiter unten liegenden Bereichen nach oben transportiert.

Hydratvorkommen
Auch an anderen Kontinentalabhängen gibt es Methanhydrate unter ähnlichen Bedingungen wie vor Mauretanien. © Davies et al./ Nature Geoscience, CC-by 4.0

Gestützt wird diese Annahme durch große Mengen an „Pockennarben“ auch an anderen Kontinentküsten. „Dies ist beispielsweise an der US-Atlantikküste der Fall, wo man tausende von Pockmarks auf dem äußeren Schelf und dem oberen Kontinentalhang entdeckt hat“, berichten Davies und seine Kollegen. Auch an der Pazifikküste vor Kalifornien wurden tausende dieser Senken im Meeresgrund gefunden. Bisher war jedoch meist unklar, wodurch sie entstehen – da sie vermeintlich außerhalb der Methanhydratzone legen.

Abtau-Potenzial größer als gedacht

„Dies ist eine wichtige Erkenntnis“, betont Koautor Christian Berndt vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. „Bislang konzentrierte sich die Forschung auf die flachsten Teile der Hydrat-Stabilitätszone, weil wir dachten, dass nur dieser Teil auf Klimaschwankungen reagiert.“ Aber die neuen Daten sprächen dafür, dass offenbar auch tiefere Bereiche der Hydratvorkommen anfällig sind und ihr Methan freisetzen.

Das bedeutet, dass die Methanhydrate entlang der Kontinentküsten mehr Methan ausgasen könnten als bisher angenommen. „Bisher galten nur rund 3,5 Prozent der Hydratvorkommen als potenzielle Klimatreiber“, schreiben Davies und sein Team. „Aber wie sich jetzt zeigt, könnte auch ein Teil der tiefer gelegenen 96,5 Prozent dieser Gashydrate zur Methanfreisetzung in wärmeren Ozeanen beitragen.“ Dieses erweiterte Reservoir müsse daher in künftige Schätzungen der klimabedingten Methanaustritte einbezogen werden.

Kürzerer Weg in die Atmosphäre

Hinzu kommt: Wenn das Methan im Meeresgrund von der Hydratzone in flachere Gebiete transportiert wird, kann mehr Methan in die Atmosphäre gelangen. Denn je dünner die Wasserschicht über dem Gasaustritt ist, desto weniger Gas wird vom Meerwasser absorbiert und abgefangen. Auch dadurch könnte bei weiter fortschreitendem Klimawandel mehr Methan in die Atmosphäre gelangen als zuvor geschätzt.

„Wir müssen dem unbedingt auf den Grund gehen, um die Rolle der Hydrate im Klimasystem besser zu verstehen“, sagt Berndt. (Nature Geoscience, 2023; doi: 10.1038/s41561-023-01333-w)

Auch tiefer liegende Gashydrate können Methan freisetzen.© Newcastle University

Quelle: Newcastle University, GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel

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