Katastrophale Überschwemmungen, Erdbeben, Unwetter, Seuchenzüge, Hungerkrisen oder auch Brände sind in der Geschichte der Welt immer wieder vorgekommen. Wie aber haben sie sich auf Kultur, Geschichte und Gesellsschaft vergangener Epochen ausgewirkt? Welche Strategien wurden gegen die Naturereignisse entwickelt? Das untersucht jetzt ein Netzwerk von Nachwuchswissenschaftlern.
Unter der Federführung von Gerrit Jasper Schenk vom Historischen Institut der Universität Stuttgart und seines Zürcher Kollegen Franz Mauelshagen haben sich Historiker unterschiedlicher Epochen und Spezialisierungen sowie historisch arbeitende Wissenschaftler aus benachbarten Disziplinen (Orientalistik, Sinologie, Geographie) aus Deutschland, der Schweiz, England und Neuseeland zusammengefunden. Mit Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft untersuchen sie historische Katastrophen aus einer kulturvergleichenden Perspektive.
Arnofluten in Florenz im Blick
Was dieser Ansatz beinhaltet zeigt sich am Beispiel einer verheerenden Flut in Florenz im November 1333: Der nach einer längeren Regenperiode mächtig angeschwollene Arno riss die Brücken im Stadtgebiet mit sich, die Quartiere längs des Flusses wurden überflutet, Mauern stürzten ein und Menschen ertranken. Wer heute durch Florenz flaniert, findet auf der berühmten Ponte Vecchio, hoch über den Köpfen der Touristen, zwei Wasserstandsanzeiger, die die Höhe der Arnoflut mahnend in der Erinnerung halten.
Der Florentiner Geschichtsschreiber, Kaufmann und Politiker Giovanni Villani erzählt in seiner Chronik von dieser Flut und gibt auch die Diskussionen der Zeitgenossen über die Ursachen der Katastrophe wieder: Handelte es sich um den Lauf der Natur oder einen (warnenden oder strafenden) Eingriff Gottes? Villani erörtert die meist von Astrologen entwickelten, zeitgenössischen Erklärungsmodelle, wie etwa eine ungünstige Konstellation von Gestirnen.
Historischer Umgang mit Katastrophen
Doch die Florentiner blieben dabei nicht stehen: Der Blick auf kaum bekannte Reaktionen und Maßnahmen der Kommune Florenz öffnet sich, wenn neben Chroniken und Predigttexten auch die teilweise erhaltene Überlieferung der städtischen Verwaltung in die Untersuchung einbezogen wird. Die in Akten und Amtsbüchern festgehaltenen Maßnahmen erlauben den Forschern Rückschlüsse auf Einstellungen der Zeitgenossen, die als „Theorien der Praxis“ des Umgangs mit Katastrophen gleichberechtigt neben bekannte Deutungs- und Reaktionsschemata treten.
Man findet hier auch viele pragmatische Maßnahmen, mit denen die Folgen der Katastrophe im Alltag gemildert wurden: Die Errichtung von Behelfsbrücken, die Einrichtung von Ersatzmärkten oder Steuersenkungen für Getreideimporteure zur Sicherstellung der Verorgung. Die politische Führung war keineswegs zukunftsblind und stellte sich den Problemen auch auf längere Sicht. So diskutierte der Stadtrat, ob die Verbauung des Flussbettes mit Mühlen und Fischreusen zu einem Rückstau geführt und dadurch ursächlich an der Überschwemmungskatastrophe beteiligt gewesen war. Er versuchte, durch Bauverbote am Flussbett das Risiko erneuter Überschwemmungen zu minimieren.
Mit Katastrophen leben lernen
Doch die Mittel und Maßnahmen – ohnehin nur lasch befolgt – reichten nicht aus. Die nächsten Überschwemmungen ließen nicht lange auf sich warten: Schon im Dezember 1334 riss der Arno die hölzernen Behelfsbrücken erneut mit sich, im November 1345 überrollte die nächste Flutwelle die Stadt. Dieses wiederkehrende Problem könnte sogar die nur vage rekonstruierbaren, großangelegten Planungen einer Arno-Umleitung um Florenz herum durch Leonardo da Vinci (1503/04) angeregt haben.
Doch trotz vieler Planungen und zahlreicher Maßnahmen blieb es dabei: Mindestens einmal in jedem Jahrhundert – zuletzt am 4. November 1966 – trat der Arno über seine Ufer und überschwemmte die Stadt. Die Metropole Florenz gedieh und gedeiht dennoch. Die Fähigkeit zur städtebaulichen, sozialen, wirtschaftlichen, religiösen und kulturellen Anpassung an diese immer wiederkehrenden katastrophalen Umstände stellt offenbar einen nicht zu vernachlässigenden, durchaus nicht nur destruktiven, sondern in seinen Langzeitwirkungen konstruktiven Faktor der Entwicklung von Stadt, Gesellschaft und Kultur dar.
Daher untersuchen die in dem Netzwerk kooperierenden Wissenschaftler, wie Katastrophen als formatives Element auf Gesellschaften und Kulturen einwirken, die ihrerseits spezifische Wege des Umgangs mit Katastrophen entwickeln. Die gewonnen Erkenntnisse ermöglichen es auch, den Blick für aktuelle Probleme des Katastrophenmanagements zu schärfen. Bislang bleiben lokales Wissen und bewährte Praktiken zum Schaden aller Beteiligten oft ungenutzt.
(Universität Stuttgart, 16.11.2005 – NPO)