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Energie

Atomkraft: Messmethode zeigt verborgene Material-Schäden

Kalorimetrie könnte die Überwachung alter Atomreaktoren verbessern

Atomkraft
Im Laufe der Betriebszeit sammeln sich in den Bauteilen von Atomreaktoren strahlenbedingte Mikroschäden und Defekte an. © luckystep/ Getty images

Strahlenschäden sichtbar gemacht: Ein neues Verfahren kann verborgene Materialdefekte in Atomreaktoren aufspüren – und so die Sicherheit älterer Atomkraftwerke erhöhen. Möglich wird dies durch eine kalorimetrische Messung, die versteckte Schäden in der Materialstruktur anhand ihrer Energiefreisetzung nachweisen kann. Dies eröffnet die Chance, auch solche von der Strahlung verursachte Mikroschäden in Reaktorwänden oder Leitungen zu erkennen, die bisher nicht nachweisbar waren.

Im Zuge des Ukrainekrieges und der Gasknappheit könnte die Atomenergie ein Comeback erleben – zumindest vorübergehend. Zwar sind die Probleme der Endlagerung von Atommüll noch lange nicht gelöst und auch der Rückbau von Atomkraftwerken ist extrem aufwendig und teuer. Aber eine begrenzte Laufzeitverlängerung der verbliebenen deutschen Kernkraftwerke könnte die drohende Energieknappheit in Teilen abpuffern.

Materialdefekte
Die radioaktive Strahlung verursacht Strukturveränderungen (rot, blau) auf der Ebene des Kristallgitters, die mit gängigen Methoden kaum nachweisbar sind. © Hirst et al. / MIT

Materialschäden in alternden Reaktoren

Das Problem jedoch: Viele Atomreaktoren in Deutschland und weltweit sind schon Jahrzehnte alt. Das Material ihrer Druckbehälter, Kühlleitungen und anderer Bauteile war entsprechend lange radioaktiver Strahlung ausgesetzt. Das jedoch führt unausweichlich zu Schäden: „Die Bestrahlung verändert Materialien, weil sie Defekte in ihrer Struktur verursacht“, erklären Charles Hirst von Massachusetts Institute of Technology (MIT) und seine Kollegen. Dies wiederum führt zu Materialermüdung, Rissen und im Extremfall Lecks.

Um das Austreten von Radioaktivität zu verhindern und die Sicherheit der Atomkraftwerke zu gewährleisten, müssen die Kraftwerke und ihre Bauteile daher feinmaschig überwacht werden. Neben der visuellen Inspektion geschieht dies durch Analysen von Materialproben mittels Transmissionselektronenmikroskopie, Leitfähigkeitsmessungen und der sogenannten Positronen-Annihilations-Spektroskopie (PAS). Aber sehr kleine Schäden können auch sie nicht immer erkennen.

Kalorische Messung als Defekt-Detektor

Jetzt schafft ein neues Verfahren mehr Klarheit. „Wir schlagen vor, solche Defekte über die von ihnen freigesetzte Energie zu detektieren und zu quantifizieren“, erklären Hirst und sein Team. Denn jeder Defekt in der atomaren Struktur eines Materials verändert dessen energetischen Zustand. „Für jeden Defekt gibt es eine charakteristische Aktivierungsenergie und eine bei der Umwandlung der Struktur freigesetzte Transformationsenergie“, erklären die Forscher.

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Diese Energiefreisetzung lässt sich mithilfe der dynamischen Differenzkalorimetrie (DSC) messen. Im Experiment nutzten die Wissenschaftler dafür Proben aus einem Titanbolzen, der im Versuchsreaktor des MIT über längere Zeit radioaktiver Strahlung ausgesetzt war sowie unbestrahlte Vergleichsproben. Für die Messung wird die Probe in eine spezielle Messkammer gelegt und dann erhitzt. „Wir erhöhen dafür die Temperatur stetig um rund 50 Grad pro Minute, von Raumtemperatur auf bis zu 600 Grad“, erklärt Hirst. Währenddessen wird gemessen, in welchem Maße und Tempo sich die Probe erwärmt.

Buckel in der Kurve verrät Strahlenschäden

Die bei diesen Messungen ermittelte thermische Reaktion der Proben verrät, ob das Material strahlenbedingte Defekte aufweist. Denn dann zeigen sich Sprünge in der Temperatur, die entstehen, wenn sich die atomare Struktur durch das Erhitzen verändert und die Defekte dabei „herausgeheizt“ werden. „In unserem Fall zeigte sich eine deutliche Energiefreisetzung, als die Defekte rekombiniert wurden“, erklärt Hirst. „Dadurch heizt sich die Probe vorübergehend stärker auf.“

„Im Experiment zeigen unsere bestrahlten Proben eine exothermische Energieabgabe bei 380 bis 470 Grad und dann noch einmal bei 500 bis 590 Grad“, berichten die Wissenschaftler. Dies deute darauf hin, dass die Defekte im Titan in zwei getrennten Prozessen ausheilen. Durch Vergleiche zwischen intakten Vergleichsproben und dem bestrahlten Material lässt sich über dieses Verfahren auch das Ausmaß der Schäden abschätzen.

Wichtig für den Weiterbetrieb alter Reaktoren

Nach Ansicht der Forscher kann diese Messmethode dazu beitragen, die Sicherheit gerade älterer Atomreaktoren besser zu überwachen. „Wir können diese Atomkraftwerke nur dann am Netz lassen, wenn wir sicher sein können, dass sie weiterhin korrekt arbeiten“, betont Seniorautor Michael Short vom MIT. Und genau dabei könne die dynamische Differenzkalorimetrie helfen. Für die Messung reicht schon eine winzige Materialprobe aus den kritischen Reaktor-Bauteilen.

Die Methode funktioniert dabei sowohl bei Metall wie auch bei keramischen Materialien oder Halbleitern. Wie Short erklärt, hat das Team bewusst Titan als Testmaterial verwendet, weil die Messungen bei Metallen am schwierigsten sind. „Wenn es damit funktioniert, dann geht es auch mit allem anderen“, so Short. „Diese Methode ist damit nahezu überall anwendbar.“ (Science Advances, 2ß22; doi: 10.1126/sciadv.abn2733)

Quelle: Massachusetts Institute of Technology

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