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Genetik

„Google Earth“ für Gene

Neuartiges optisches Genanalysesystem kartiert individuelle Genveränderungen erstmals im Kontext

Ein neuartiges Analysesystem ermöglicht es Genforschern erstmals, individuelle Unterschiede im menschlichen Erbgut im Kontext größerer DNA-Abschnitte zu erkennen. Die jetzt in der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences” (PNAS) vorgestellte Methode schneidet die DNA nicht in winzige Schnipsel, sondern scannt Millionen Basenpaare lange DNA-Abschnitte im Ganzen. Genetiker haben damit bereits mehr als 4.000 zuvor nicht erfasste strukturelle Veränderungen entdeckt – beim Genvergleich von nur vier Probanden.

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Wenn es darum geht herauszufinden, was einen Menschen genetisch von einem anderen unterscheidet, setzen Genetiker meist auf Variationen kleinster DNA-Abschnitte, die so genannten Single Nucleotide Polymorphisms (SNP). Bei der dafür zurzeit gängigen Analysemethode werden die langen DNA-Moleküle in Fragmente von weniger als einigen tausend Basenpaaren Länge geschnitten und diese dann vervielfältigt. Von jedem dieser millionenfach kopierten DNA-Schnipsel wird dann ein chemisches Profil erstellt, das die Abfolge und Menge der Basen verrät. Doch diese Methode hat Nachteile: So macht es das isolierte Betrachten der aus dem Zusammenhang herausgelösten Stückchen teilweise schwer, den übergeordneten Kontext im Genom zu bewerten oder Veränderungen innerhalb langer Abfolgen zu erkennen.

Bisher nur punktuelle Einblicke

„Kurze Stücke können aus so vielen verschiedenen Bereichen der DNA stammen“, erklärt Brian Teague, Genetiker an der Universität von Wisconsin-Madison. „Ein enormer Teil des Genoms besteht aus sich wiederholenden DNA-Stücken und wichtige Unterschiede finden sich oft in Gebieten, die zahlreicher solcher Kopien tragen.“ Eine Identifizierung größerer Veränderungen ist daher mit der SNP-Betrachtung kaum möglich, sie geben immer nur einen punktuellen Ausschnitt des Gesamtbilds wieder. Der Forscher gehört einer Arbeitsgruppe um David C. Schwartz an, Professor für Chemie und Genetik an der Universität von Wisconsin-Madison, die nun in jahrelanger Arbeit ein völlig neues Analyseverfahren entwickelt hat.

Stränge von Millionen Basenpaaren Länge

Um einen Blick auf auch auf die größeren strukturellen Variationen zu gewinnen, nutzten die Forscher ein optisches Kartierungssystem, das es erlaubt, auch kleinste Veränderungen im Kontext umgebender DNA-Abschnitte zu sehen. „Unsere neue Technologie analysiert sehr schnell viele große DNA-Moleküle auf einmal, macht den Kopierschritt überflüssig und reduziert die Anzahl der überlappenden und doppelten DNA-Fragmente“, erklärt Schwartz.

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Das neue Verfahren schneidet die DNA in Abschnitte von mehreren Millionen Basenpaaren, die fädigen Stränge haben dabei eine Länge im Submillimeterbereich. Diese Stücke werden auf behandelte Glasträger aufgebracht, wo sie durch spezielle Enzyme an bestimmten Stellen des Codes geschnitten und mit Hilfe von automatischen Mikroskopen durchmustert werden. Das Muster der Schnitte entlang jedes Moleküls erzeugt einen einzigartigen „Barcode“, der das DNA-Molekül charakterisiert und Rückschlüsse auf den Code und seine Veränderungen ermöglicht. Die Ergebnisse des Scans werden in Datenbanken gespeichert und durch Software analysiert und mit anderen Abschnitten zusammengefügt, so dass daraus ein komplettes Bild der individuellen Genveränderungen entsteht.

Google Earth für Gene

„Die Methode erlaubt es uns neue genetische Muster zu entdecken, die sonst unsichtbar geblieben wären“, so Schwartz. „Was wir hier haben ist eine genetische Version von Google Earth. Ich könnte mich hinsetzen und beim Chromosom 1 anfangen und wir könnten uns an jedem entlang bewegen und hineinzomen und tatsächlich die genetischen Veränderungen in dem Genom eines Individuums sehen.“

Tatsächlich entdeckten die Wissenschaftler schon in ihren ersten Versuchen, bei denen sie das Erbgut von vier Menschen mit der neuen Methode miteinander verglichen, mehr als 4.205 Variationen in der Reihenfolge, in der DNA-Stücke von mehreren tausend bis hunderttausend Basenpaaren aufeinander folgten. Die Abschnitte variierten entweder in der Länge oder tauchten in umgekehrter Reihung auf. Insgesamt kartierten die Forscher mehr als 150 Meter DNA-Strang.

„Wir haben damit wahrscheinlich die umfangreichste Sicht auf das menschliche Genom überhaupt”, so Schwartz. „Und die Variation, die wir im menschlichen Erbgut sehen, ist etwas, von dem wir seit Jahren wissen, aber das wir bisher nicht vollständig untersuchen konnten.“

Neuer Einblick in Krankheitsentstehung

Nach Ansicht der Forscher bieten sich damit auch ganz neue Möglichkeiten, die Grundlagen für genetisch bedingte Krankheiten zu identifizieren und zu erforschen. „Ich habe ganze Ordner voll mit Artikeln über Krankheiten, die vermutlich auf solche strukturellen Unterschiede zurückgehen“, erklärt Teague. „Wenn man die genetische Basis dieser Krankheiten erkennt, kann man die molekularen Unterschiede in ihrer Entwicklung und entsprechende Ansatzpunkte für Wirkstoffe zu ihrer Behandlung oder Heilung herausfinden.“

Das eigene Genom in einer Stunde

Und noch einen Anwendungsbereich sehen die Wissenschaftler: Denn die mit ihrer Methode mögliche automatisierte Durchmusterung von Millionen Basenpaaren großen DNA-Stücken auf einmal setzt auch ganz neue Maßstäbe für die Geschwindigkeit von kommerziellen Genanalysen. „Unsere Analysensysteme versprechen eine Genanalyse in einer Stunde zu Kosten von weniger als 1.000 US-Dollar“, so Schwartz. „Und diese hohe Geschwindigkeit und niedrigen Kosten brauchen wir auch, um im neuen Feld der individuellen Genomik weiterzukommen.“

(University of Wisconsin-Madison, 07.06.2010 – NPO)

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