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Medizin

Ältere Menschen bekommen oft ungeeignete Medizin

Jede zweite Person über 65 in Deutschland erhält Medikamente, die riskant für dieses Alter sind

Tabletten
Nicht jede Tablette, die ältere Menschen verschrieben bekommen, ist auch wirklich für ihr Alter geeignet. © Daisy-Daisy/ Getty Images

Gefährliche Arznei: Einer neuen Studie zufolge hat im Jahr 2022 jeder zweite ältere Mensch in Deutschland mindestens ein Medikament verschrieben bekommen, das in seinem Alter zu unerwünschten Wechsel- oder Nebenwirkungen führen kann. In der Altersgruppe der über 65-Jährigen waren insgesamt 8,3 Millionen Menschen betroffen. Die Forschenden empfehlen Hausärzten daher, das Alter der Patienten bei der Verschreibung eines Medikaments künftig stärker miteinzubeziehen.

Ältere Menschen müssen bei der Einnahme von Medikamenten einiges mehr beachten als junge Erwachsene. Unter anderem kann bei ihnen eine andere Dosis erforderlich sein, da ihre Körper die Wirkstoffe nicht mehr so gut aufnehmen beziehungsweise ausscheiden. Außerdem nimmt im Alter die Gesamtzahl der Krankheiten zu. 43 Prozent der Menschen über 65 müssen daher mehr als fünf verschiedene Wirkstoffe parallel einnehmen, was schnell zu unerwünschten Wechselwirkungen führen kann.

Statistik ungeeignete Medikamente
Anteil der Menschen über 65, die 2022 ein ungeeignetes Medikament verschrieben bekommen haben (aufgeteilt nach Bundesländern). © WIdO

Ungeeignete Medikamente weit verbreitet

Die Besonderheiten bei der Medikamenteneinnahme werden im Alltag älterer Menschen allerdings nicht immer ausreichend beachtet, wie Forschende um Nina-Kristin Mann von der Universität Witten/Herdecke nun ermittelt haben. Sie haben anhand der Daten von rund 16,4 Millionen älteren Versicherten der Krankenkasse AOK untersucht, welche Arzneimittel diese verschrieben bekommen haben und ob diese Wirkstoffe für Ältere geeignet sind.

Das Ergebnis: Im Jahr 2022 erhielt jede zweite Person ab einem Alter von 65 Jahren Medikamente, die potenziell zu gesundheitlichen Problemen führen können und daher eigentlich vermieden werden sollten. Betroffen waren insgesamt 8,3 Millionen ältere Menschen und 12,3 Prozent aller an sie verordneten Tagesdosen. Frauen traf die ungeeignete Verordnung häufiger als Männer, wie die Forschenden berichten.

Magensäure-Hemmer führen die Liste an

Nehmen ältere Menschen sogenannte potenziell inadäquate Medikamente (PIM) ein, wie sie im Fachjargon heißen, dann kann das für sie sogar lebensbedrohlich sein – sowohl direkt als auch indirekt. So können die Nebenwirkungen eines Präparats oder dessen Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten zum Beispiel das Sturzrisiko erhöhen, indem sie den Patienten müde machen, seinen Blutdruck abfallen lassen oder seine Sicht stören.

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Bei mehr als der Hälfte der ungeeigneten, aber trotzdem verordneten Medikamente handelt es sich um sogenannte Protonenpumpenhemmer, wie Mann und ihre Kollegen berichten. Diese Magenschutzpräparate sollen unter anderem gegen saures Aufstoßen und Magen-Darm-Geschwüre helfen. Bei längerer Einnahme erhöhen sie allerdings das Risiko für Osteoporose, Knochenbrüche und bestimmte Infektionen.

Auch verschiedene Schmerzmittel, Antidepressiva und Medikamente bei Blasen- und Prostatabeschwerden werden den Forschenden zufolge häufig verschrieben, obwohl sie im Alter vermehrt Risiken bergen oder eigentlich einer angepassten Dosierung bedürfen.

Priscus-Liste verschafft Klarheit

Um unerwünschte Neben- und Wechselwirkungen von Medikamenten im Alter zu reduzieren, gibt es seit 2010 die sogenannte Priscus-Liste. Das Dokument nennt alle potenziell riskanten Wirkstoffe für ältere Menschen sowie mögliche Alternativmittel. Seit ihrer Veröffentlichung hat die Liste dazu beigetragen, dass immer weniger potenziell gefährliche Medikamente verschrieben wurden. Während 2009 noch 24 Prozent aller an ältere Menschen verordneten Tagesdosen als riskant eingestuft wurden, waren es 2019 bereits 14,5 Prozent und 2022 noch 12,3 Prozent.

Mann und ihr Team haben der Priscus-Liste im Rahmen ihrer Forschung nun außerdem ein Update verpasst und weitere Wirkstoffe hinzugefügt, sodass Hausärzte sich nun an dem in „Priscus 2.0“ zusammengetragenen Wissen orientieren können. „Wir haben bei diesem Thema kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem“, kommentiert Helmut Schröder vom Wissenschaftlichen Institut der AOK. (Deutsches Ärzteblatt International, 2023; doi: 10.3238/arztebl.m2022.0377)

Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO)

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