Jetzt müssen Schulbücher ergänzt und umgeschrieben werden: Wissenschaftler haben einen Mechanismus entdeckt, durch den das strenge „Schlüssel-Schloß-Prinzip“ der genetischen Information durchbrochen wird. Die kleine Base Uracil (U) kann sich an einer entscheidenden Stelle mit allen anderen Basen paaren und agiert so als „Dietrich“. Dieser als „Superwobbeln“ bezeichnete Effekt wurde jetzt in der Fachzeitschrift „Nature Structural and Molecular Biology“ erstmals beschrieben.
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Die Bausteine der Erbsubstanz, die DNA und RNA, bestehen aus vier Informationsträgern in Form von Basen. Die Basen der RNA-Moleküle heißen Adenin (A), Cytosin (C), Guanin (G) und Uracil (U). Kombinationen von jeweils drei dieser Basen bilden ein „Wort“ des genetischen Codes, das jeweils eine bestimmte Aminosäure kodiert. Die Reihenfolge dieser „Wörter“ und damit auch der Proteinbausteine legt fest, welches Protein aus einer Gensequenz abgelesen werden kann. Für die meisten der 21 Aminosäuren stehen dabei nach den Regeln des genetischen Codes mehrere Basenkombinationen zur Verfügung. Der Einbau wird durch sogenannte tRNAs vermittelt, die die jeweilige Dreierkombination von Basen erkennen und dann den entsprechenden Aminosäurebaustein an der richtigen Stelle in das Protein einbauen. Dies geschieht durch die Paarung zweier jeweils passender Basen. C passt auf G und A auf U.
Seit einigen Jahren ist jedoch bekannt, dass es einige Bakterien und Zellorganellen gibt, die nicht für jede Basenkombination die passende tRNA besitzen. An Chloroplasten, den Photosyntheseorganen der Pflanzenzellen, haben Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für molekulare Pflanzenphysiologie in Potsdam nun untersucht, ob das Schlüssel-Schloss-Prinzip der tRNA möglicherweise durch einen „Dietrichmechanismus“ einzelner tRNAs umgangen wird.
Die Forscher um Ralph Bock veränderten dazu Chloroplasten von Tabakpflanzen so, dass ihnen für den Einbau der Aminosäure Glycin nicht mehr die nach klassischer Ansicht mindestens zwei tRNAs zur Verfügung standen, sondern nur jeweils eine. Dabei konnten sie zeigen, dass die kleine Base Uracil (U) mit allen anderen Basen paaren kann und so eine Art molekularen Dietrich bildet. Das hat zurfolge, dass Genome wesentlich kleiner und kompakter sein können als bisher angenommen.
Die alternative Theorie, dass es für den korrekten Einbau mancher Aminosäuren ausreicht, wenn nur zwei Nukleotidbasen der Boten-RNA mit der tRNA paaren, konnte widerlegt werden – große, „sperrige“ Nukleotidbasen, wie z.B. Guanin, lassen dies nicht zu. Die kleine, flexible Base Uracil hingegen kann mit allen anderen Basen paaren und damit gewissermaßen als „Joker“ oder „Dietrich“ wirken. „Durch diesen Mechanismus können Genome kleiner und kompakter sein, weil nicht alle tRNA-Moleküle vorhanden sein müssen“, sagt Marcelo Rogalski, Mitglied der Arbeitsgruppe um Professor Bock. Die genetische Information werde dabei nach wie vor korrekt und ausreichend schnell übersetzt.
(MPG, 15.01.2008 – NPO)