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Neurobiologie

Alzheimer-Protein tut auch Gutes

Gefährliches beta-Amyloid wichtig für Signalübertragung im Gehirn

Ein Kennzeichen der Alzheimer-Krankheit sind Proteinablagerungen im Gehirn, so genannte Beta-Amyloid-Plaques. Basis für die Plaques ist ein Vorläuferprotein, APP. Jetzt haben Wissenschaftler nachgeweisen, dass APP nicht nur negative Wirkungen hat, sondern auch bei gesunden Menschen entscheidend an der Entwicklung von Synapsen und ihrer Funktion beteiligt ist.

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Wie ein Team um Professor Dr. Jochen Herms, Zentrum für Neuropathologie und Prionforschung der Ludwig- Maximilians-Universität (LMU) München, jetzt in der Online-Ausgabe des "Journal of Neuroscience" nachweist, zeigen Nervenzellen ohne APP – und damit ohne beta-Amyloid – Veränderungen bei der Bildung von Synapsen. Das sind die Kontaktstellen zwischen Neuronen und damit wichtige Stationen bei der Übertragung von Nervensignalen. "Das beta- Amyloid hat also wohl auch eine normale Funktion im Gehirn", so Herms. "Seit Jahren aber wird an Therapien gearbeitet, die die Entstehung von beta-Amyloid unterdrücken sollen. Möglicherweise ist das der falsche Weg."

Die Alzheimersche Erkrankung ist die häufigste Form der Altersdemenz. Nach Schätzungen leiden weltweit zwischen zwölf und 15 Millionen Menschen an Alzheimer, in Deutschland sind es etwa 1,2 Millionen. Dabei stiegen die Zahlen in den letzten Jahren wegen der deutlich zunehmenden Lebenserwartung in den westlichen Ländern sogar an.

Was macht das Protein bei Gesunden?

Unbestritten ist die Rolle des beta-Amyloids, das im alternden Gehirn verklumpt und akkumuliert. Das führt zu einer Schädigung von Nervenzellfortsätzen und bedingt letztlich den Untergang von Nervenzellen. Unklar war bisher allerdings, wie genau es zu der verhängnisvollen Reaktion kommt, und warum beta-Amyloid überhaupt in so großer Menge im – auch gesunden – Gehirn vorhanden ist.

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Studien zeigen eine mögliche Rolle des APP bei der Weiterleitung von Nervensignalen an den Synapsen, den Berührungspunkten von Neuronen. So wurde gezeigt, dass neuronale Aktivität einen verstärkenden Effekt auf die Sekretion von beta-Amyloiden hat. Umgekehrt wurde nachgewiesen, dass das Protein eine bestimmte Art der synaptischen Übertragung unterdrückt. Zusammen genommen führten die Resultate zu der Vermutung, dass die Produktion von beta-Amyloid Teil eines negativen Feedbacks ist, das die Erregbarkeit der Neuronen kontrolliert und sie dadurch vor übermäßiger, schädlicher Aktivität schützt.

"In diesem Fall sollte aber die Abwesenheit von APP und damit das Fehlen von beta-Amyloid auch einen Effekt auf die synaptische Übertragung haben", so Herms. "Wir wollten dies aufklären und haben die synaptische Übertragung von Nervenzellen untersucht, die kein APP produzieren."

Mehr Synapsen ohne APP

Die aktuelle Studie zeigt nun, dass die synaptische Aktivität in Nervenzellen ohne APP in der Tat stark erhöht ist. Sowohl die Höhe der synaptischen Antworten nach Erregung der Zellen als auch die Häufigkeit spontaner synaptischer Entladungen von für die synaptische Übertragung notwendigen Botenstoffen stieg an. Weitergehende Untersuchungen ergaben, dass nicht die Synapsen selber durch das Fehlen von APP verändert werden, sondern dass einfach deren Zahl pro Nervenzelle zunimmt.

Junge besonders betroffen

Ein besonders überraschendes Ergebnis war allerdings, dass sich dieser Effekt besonders bei jungen Mäusen zeigte, während ältere Tiere von einem APP-Verlust kaum betroffen waren. "Zwei verschiedene Mechanismen könnten das erklären", so Herms. "Das Fehlen von APP könnte die Bildung von Synapsen in der Entwicklung beschleunigen, was aber eher unwahrscheinlich ist. Ebenfalls möglich ist, dass eine verstärkte Synapsenbildung zu Beginn der Entwicklung durch einen verstärkten Abbau später kompensiert wird."

In leicht abgeänderten Experimenten produzierten die untersuchten Neuronen nur APP, aus dem aber kein beta-Amyloid gemacht werden kann: Auch in diesen Fällen entsprachen die Ergebnisse denen in Versuchen mit Nervenzellen ganz ohne APP. Die Resultate des Teams und auch die anderer Forschergruppen lassen also insgesamt vermuten, dass nicht APP an sich, sondern das beta-Amyloid die entscheidende Rolle bei der Bildung und der Funktion der Synapsen spielt.

Nicht nur Abfallprodukt

Erkenntnisse aus Mäuseversuchen lassen sich zwar nur selten direkt auf den Menschen übertragen. Nicht zuletzt dank der vorliegenden Studie mehren sich aber die Hinweise, dass auch beim Menschen das beta-Amyloid eine normale und wichtige Funktion hat. Solange dies nicht widerlegt werden kann, sollte deshalb die Prämisse aufgegeben werden, dass das Protein nur ein Abfallprodukt und damit entbehrlich ist. "Unklar ist aber immer noch, wie das beta-Amyloid zu Alzheimer führen kann", so Herms.

"Es ist bekannt, dass das Protein bei neuronalen Verletzungen verstärkt produziert wird. Möglicherweise führen wiederholte leichte Schäden im Gehirn oder einfach nur die verminderte Energieversorgung gealterter Nervenzellen im Gehirn des älteren Menschen zu einem chronisch erhöhten Spiegel von beta-Amyloid, wodurch die normale Funktion des Proteins, also eine Hemmung übermäßiger synaptischer Aktivität, zu stark oder zu lange ausgeübt wird. Denkbar ist aber auch, dass alternde Nervenzellen ihre Sensitivität gegenüber dem beta- Amyloid verlieren, und das Protein damit seine nervenschonende Wirkung verliert. Eher Erfolg versprechend sind deshalb möglicherweise Therapieansätze, die die Produktion von beta-Amyloid nicht unterdrücken, sondern nur reduzieren."

(Ludwig-Maximilians-Universität München, 07.07.2006 – NPO)

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