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Astronomie

Sternenbeben enthüllt Neutronenstern-Aufbau

Forschern gelingt erstmals Blick ins Innere der Himmelskörper

Oberflächenmuster für verschiedene Verwindungsoszillationen, die möglicherweise durch den Hyperflare angeregt wurden. Die Farbcodierung und Länge der Pfeile kennzeichnen die Stärke der Schwingungen. © MPI für Astrophysik

Neutronensterne sind die dichtesten Objekte, die im Universum existieren. Über ihren Aufbau war bis jetzt jedoch nur wenig bekannt. Nun ist es einem internationalen Wissenschaftler-Team mit seismologischen Methoden erstmals gelungen, ins Innere dieser extrem kompakten Himmelskörper zu blicken. Anhand von Messungen des "Rossi X-Ray Timing Explorer", eines Röntgensatelliten der NASA, konnten sie dabei die Dicke der Kruste eines solchen Neutronensterns bestimmt.

Nach den neuen Daten, die die Forscher des Max-Planck-Instituts für Astrophysik und der NASA vor ein paar Tagen auf der Jahrestagung der American Physical Society in Dallas, USA, vorgestellt haben, ist die Kruste von Neutronensternen bis zu 1,5 Kilometer stark. Sie ist so dicht gepackt, dass ein Teelöffel dieser Materie auf der Erde zehn Millionen Tonnen wiegen würde.

Die Messung wurde durch eine starke Explosion auf einem Neutronenstern im Dezember 2004 ermöglicht. Von dieser Explosion ausgelöste Vibrationen enthüllten bisher unbekannte Details über den Aufbau von Neutronensternen. Das dabei verwendete Verfahren ähnelt der Seismologie, die den Aufbau der Erdkruste und des Erdinneren mit Hilfe seismischer Wellen erforscht, die von Erdbeben und Explosionen ausgelöst werden.

Das neuartige Verfahren erlaubt es nun, das Innere eines Neutronensterns – eines bisher unerforschten und verborgenen Gebiets – zu untersuchen. Dort sind Druck und Dichte so hoch, dass im Zentrum des Neutronensterns möglicherweise exotische Teilchen zu finden sind, die sonst nur zum Zeitpunkt des Urknalls existiert haben.

Explosion schüttelt Stern durch

"Diese Explosion war die stärkste jemals beobachtete ihrer Art. Wir vermuten, dass sie den Stern durchgeschüttelt und ihn praktisch wie eine Glocke zum Klingen gebracht hat", so Tod Strohmayer vom NASA Goddard Space Flight Center in Greenbelt, Maryland, USA, der zusammen mit Anna Watts vom Max-Planck-Institut für Astrophysik (MPA) in Garching dieses Forschungsprojekt durchgeführt hat.

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"Obwohl die durch die Explosion erzeugten Vibrationen schwach sind, geben sie ganz genaue Hinweise darauf, woraus diese merkwürdigen Sterne bestehen. Wie bei einer Glocke hängen die Schwingungen im Neutronenstern davon ab, wie die Wellen durch Schichten verschiedener Dichte laufen, die elastisch oder fest sein können."

Neutronenstern SGR 1806-20 untersucht

Ein Neutronenstern ist der Überrest aus dem Kernbereich eines Sterns, dessen Gesamtmasse einst ein Vielfaches der Masse unserer Sonne betrug. Er enthält ungefähr die 1,4-fache Masse der Sonne, die allerdings in einer Kugel von lediglich 20 Kilometern Durchmesser zusammengepresst ist. Die beiden Wissenschaftler haben einen Neutronenstern namens SGR 1806-20 untersucht, der etwa 40.000 Lichtjahre von der Erde entfernt im Sternbild Schütze liegt. Dieses Objekt gehört zu einer bestimmten Art von stark magnetisierten Neutronensternen, die Magnetare genannt werden.

Die Röntgenmessung für den Hyperflare, der den Hauptausbruch beim Zeitnullpunkt zeigt, gefolgt von einer allmählichen Abnahme des Signals. Die regelmäßigen Pulse stammen von einem Feuerball heißen Plasmas, das nahe an der Oberfläche des Neutronensterns eingeschlossen ist und sich durch die Sternrotation periodisch in und aus unserer Beobachtungsrichtung dreht. Die viel schnelleren seismischen Oszillationen sind viel zu schnell, um auf diesem Bild sichtbar zu sein. Sie beginnen etwa 50 Sekunden nach dem ersten Ausbruch. © MPI für Astrophysik

Am 27. Dezember 2004 ereignete sich auf der Oberfläche von SGR 1806-20 eine Explosion mit noch nie da gewesener Stärke. Sie war die hellste jemals außerhalb unseres Sonnensystems beobachtete Explosion. Die Explosion, auch "Hyperflare" genannt, wurde durch eine plötzliche Veränderung im gewaltigen Magnetfeld des Sterns verursacht, wodurch die Kruste aufgesprengt und wahrscheinlich ein gewaltiges Sternbeben ausgelöst wurde. Dieses Ereignis wurde von einer Vielzahl von Weltraum-Observatorien beobachtet, unter anderem auch vom "Rossi Explorer" der NASA, der das dabei abgestrahlte Röntgenlicht aufzeichnete.

Sternkruste in Schwingung geraten

Strohmayer und Watts glauben, dass die Oszillationen auf Verwindungsschwingungen der gesamten Sternkruste zurückzuführen sind. Solche Vibrationen sind den bei Beben auf der Erde gemessenen S-Wellen ähnlich, die wie eine Welle entlang eines Seiles laufen. Die beiden Wissenschaftler, die für ihre Studien Messdaten von Dr. Gian Luca Israel vom italienischen Nationalen Institut für Astrophysik benutzten, konnten mehrere neue Vibrationsfrequenzen in dem Hyperflare identifizieren.

Watts und Strohmayer bestätigten anschließend ihre Messungen mit Hilfe des "NASA Ramaty High Energy Solar Spectroscopic Imager", einem Satelliten zur Sonnenbeobachtung, der auch den Hyperflare aufgezeichnet hatte. Sie entdeckten dabei erstmals Hinweise auf eine hochfrequente Oszillation von 625 Hertz, die von Wellen stammen könnte, welche sich senkrecht in die Kruste hinein ausbreiten.

Die große Zahl von Frequenzen, die mehr einem Akkord als einem einzelnen Ton gleichen, ermöglichte es den Wissenschaftlern, die Tiefe der Neutronensternkruste abzuschätzen. Dies ist möglich durch den Vergleich der Frequenzen von Wellen, die sich entlang der Sternkruste bewegen, mit jenen, die sich radial durch die Kruste hindurch ausbreiten. Der Durchmesser eines Neutronensterns ist nicht genau bekannt. Wenn man aber den geschätzten Wert von etwa 20 Kilometern annimmt, wäre seine Kruste ungefähr eineinhalb Kilometer dick. Diese aus den gemessenen Frequenzen abgeleitete Zahl stimmt wiederum gut mit theoretischen Modellen überein.

Sternbeben-Seismologie löst Rätsel der Neutronensterne

Mit der Sternbeben-Seismologie dürften sich viele weitere Eigenschaften von Neutronensternen bestimmen lassen. Strohmayer und Watts analysierten auch die Daten von "Rossi" zu einem schwächeren Hyperflare eines anderen Magnetars (SGR 1900+14) aus dem Jahr 1998. Sie fanden auch dort die verräterischen Oszillationen. Allerdings waren diese nicht stark genug, um die Krustendicke zu bestimmen.

Die Wissenschaftler hoffen durch die Messung der Röntgenstrahlung bei anderen starken Neutronenstern-Explosionen künftig noch weitere Geheimnisse dieser Objekte zu lüften, zum Beispiel die Frage nach dem Zustand der Materie in ihrem Innern. Möglicherweise existieren dort nämlich freie Quarks. Solche Quarks sind die elementarsten Bausteine von Protonen und Neutronen und unter normalen Umständen immer eng aneinander gebunden. Ein Nachweis von ungebundenen Quarks würde helfen, die wahre Natur von Materie und Energie zu verstehen. Denn bei Experimenten auf der Erde kann man die zur Entdeckung von ungebundenen Quarks notwendigen hohen Energien nicht erzeugen, auch nicht mit den größten Teilchenbeschleunigern.

"Neutronensterne sind fantastische Laboratorien, um Physik unter Extrembedingungen zu untersuchen.", so Watts. "Wir würden gerne einmal einen solchen Stern aufbrechen, doch da dies wohl leider nicht möglich sein wird, sind Magnetar-Hyperflares vermutlich die beste Möglichkeit, die uns für solche Beobachtungen bleibt."

(idw – MPG, 27.04.2006 – DLO)

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