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Neurobiologie

Farbsehen: Gehirn wichtiger als Auge?

“Equalizer” im Gehirn gleicht fehlende Sinneszellen aus

Unterschiedliche Verteilung von Farbsinneszellen in der Netzhaut © University of WIsconsin

Wie wir Farben sehen, hängt nicht in erster Linie von den Farbsinneszellen in unserer Netzhaut ab, sondern vor allem von unserem Gehirn. Das ist das überraschende Ergebnis einer Studie, die zeigte, dass Menschen mit einer dramatisch unterschiedlichen Anzahl an Farbsinneszellen trotzdem Farbe auf die gleiche Weise wahrnehmen konnten.

Bisher war es kaum möglich, die Sehzellen der Retina im lebenden Zustand abzubilden, da die Farbpigmente in normalem Mikroskoplicht schnell abblassen und es auch keine Färbung gibt, die die drei Typen von Farbzellen voneinander unterscheiden kann. Forscher der Universität von Wisconsin nutzten jetzt für ihre Studie ein laserbasiertes System, das ursprünglich für die Astronomie entwickelt worden war und die Topographie des Augeninneren in bisher unerreichtem Detail abbildete. Dabei wird ein Lichtstrahl gezielt auf einzelne Zapfen gerichtet und die Wellenlänge des reflektierten Lichts gemessen.

“Wir konnten zum ersten Mal die farbrezeptiven Zapfen in einem lebenden menschlichen Auge genau abbilden und zählen und waren erstaunt über die Ergebnisse“, erklärt David Williams, Professor für medizinische Optik und Leiter des Zentrums für visuelle Wissenschaften der Universität von Wisconsin. „Wir haben gezeigt, dass die Farbwahrnehmung weit über die Hardware des Auges hinausgeht und das führt zu einer ganzen Reihe von interessanten Fragen darüber, wie und warum wir Farben wahrnehmen.“

Kalibrierung im Gehirn

In der experimentellen Studie wurden die Versuchspersonen gebeten, die Farbe eines Lichtpunkts so zu justieren, dass er ein reines, weder grün- noch rotstichiges Gelb zeigte. Bei allen Probanden zeigte sich dabei eine sehr enge Übereinstimmung in der gewählten Einstellung. Doch als die Wissenschaftler die Netzhaut der Personen mithilfe des neuen Verfahrens untersuchten, erlebten sie eine Überraschung: Die Zapfen, die mittel- und langwelliges Licht registrierten, waren in einigen Fällen weit über die Netzhaut verstreut, in anderen Fällen kaum vorhanden. Die Diskrepanz in Anzahl und Verteilung reichte bis zu einem Verhältnis von 40 zu eins – und trotzdem sahen alle Probanden den gleichen Gelbton. Wie war das zu erklären?

„Diese Experimente zeigen, dass jeder, den wir testeten die gleiche Farberfahrung erlebte – trotz der fundamentalen Unterschiede im ‚Frontend’ ihres visuellen Systems“, erklärt Heidi Hofer, Leiterin der Studie. „Das deutet auf eine Art von Angleichung oder Autokalibrierungsmechanismus hin – ein Schaltkreis im Gehirn, der die Farben ausgleicht, egal welche Hardware der Mensche im Auge hat.“

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Umwelt verändert Kalibrierung

Bestätigt wird dies auch durch ein verwandtes Experiment, in dem die Wissenschaftler Probanden über mehrere Wochen hinweg farbige Kontaktlinsen zum Tragen gaben und während dieser Zeit mehrfach deren Farbwahrnehmung testeten. Es zeigte sich, dass die Probanden anfangs noch den „korrekten“ Gelbton einstellen konnten, nach mehreren Wochen sich die Farbwahrnehmung aber allmählich zu verschieben begann. Selbst ohne die farbverändernden Linsen bewerteten sie dann andere Gelbtöne als „neutral“ als zuvor.

“Mit der Zeit konnten wir so die natürliche Wahrnehmung des Gelbs erst in eine Richtung verschieben dann in ein andere“, erklärt Williams. „Dies ist ein direkter Beweis für eine interne, automatische Kalibrierung der Farbwahrnehmung. Diese Experimente zeigen dass Farbe durch unsere Erfahrung der Welt geprägt wird und da wir alle die gleiche Umwelt teilen, ist auch unsere Farbwahrnehmung ähnlich.“ Das Team von Williams will jetzt als nächstes die genetische Basis für die großen Unterschiede zwischen den Netzhautzellen untersuchen.

(University of Wisconsin, 26.10.2005 – NPO)

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