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Physik

Wie viel wiegt ein Neutrino?

Physiker wollen Elementarteilchen vermessen

Sie sind nicht zu sehen, sie sind nicht zu messen, doch blieben sie reine Theorie, das Weltbild der Physiker würde zusammenbrechen. Neutrinos, so vermuten sie, sind eine Milliarde mal häufiger als alle anderen Teilchen im Universum, doch ihre Masse ist unbekannt. Um diese herauszufinden, wird am Forschungszentrum Karlsruhe das Experiment „Katrin“, das „Karlsruher Tritium Neutrinoexperiment“ aufgebaut, an dem rund 100 Wissenschaftlern aus fünf Ländern beteiligt sind.

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Insgesamt existieren zwölf fundamentale Elementarteilchen, von denen neun sehr gut bekannt und beschrieben sind. Dazu gehören beispielsweise die Elektronen, die die Atomhüllen bilden und Quarks, aus denen der Atomkern besteht. Auch Neutrinos gehören zu den fundamentalen Bausteinen der Natur. Nachgewiesen wurden sie erstmals 1957 beim radioaktiven Beta-Zerfall, in der Fusion der Sonne. Größtenteils kosmischen Ursprungs, wird ihnen eine grundlegende Rolle bei der Entstehung des Universums zugeschrieben. „Lange Zeit ist man davon ausgegangen, dass Neutrinos keine Masse haben“, sagt Prof. Dr. Christian Weinheimer vom Institut für Kernphysik der Universität Münster. „Inzwischen konnte man nachweisen, dass sie sehr wohl ein Gewicht haben.“

Da Neutrinos so häufig sind, ist ihre Masse von entscheidender Bedeutung, um zu verstehen, wie das Universum entstanden ist und was es zusammenhält. „Zwei Drittel des Universums bestehen aus so genannter Dunkler Energie, rund ein Drittel aus der so genannten Dunklen Materie, zu denen auch die Neutrinos gehören. Diese Begriffe liefern im Grunde die Erklärung für bestimmte Phänomene, doch verstanden haben wir sie deswegen noch lange nicht“, so Weinheimer.

Energie soll Masse verraten

Direkt wiegen lassen sich die Neutrinos, die praktisch alles im All ohne Energieverlust durchdringen, nicht. Bei den bisherigen Experimenten konnte man durch die Umwandlung von Neutrinos zwar Unterschiede in der Masse feststellen, aber nicht das absolute Gewicht. Mit „Katrin“ soll sich das ändern. Kernstück des Experiments ist das „beste Elektronenspektrometer“ der Welt, das derzeit in Karlsruhe gebaut und vom Bundesforschungsministerium finanziert wird.

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Mit einem Durchmesser von zehn Metern und einer Gesamtlänge von 23 Metern wird es auch zu den größten der Welt gehören. „Von der Sonne kommen auf der Erde pro Quadratzentimeter mehr als 65 Milliarden Neutrinos in der Sekunde an, trotzdem sind sie nicht zu spüren. Sie durchdringen die Materie und damit auch die Detektoren“, erklärt Weinheimer die Probleme.

Um sie trotzdem nachzuweisen, nutzen die Physiker das Gesetz der

Energierhaltung: Zerfällt das Wasserstoffisotop Tritium in Elektronen und Neutrinos, lässt sich die Zerfallsenergie des Elektrons messen. Da man diese gut kennt, lässt sich durch die Differenz auch die Energie des Neutrinos und damit dessen Masse bestimmen. Das gasförmige Tritium hat eine Halbwertzeit von zwölf Jahren. Die Elektronen, die beim Zerfall entstehen, haben eine Energie von maximal 18600 Elektronenvolt. Supraleitende Magneten fokussieren die Elektronen im größten je gebauten Ultrahochvakuumtank und leiten sie zu dem Elektronenspektrometer.

„Magnete benutzen wir, weil die Elektronen sofort an Energie verlieren würden, wenn sie auf Materie träfen und dadurch das Ergebnis verfälscht würde“, so Weinheimer. Am Ende fliegen die Elektronen durch eine Gegenspannung. Für jene Elektronen, die sie überwinden, kann nun die Zerfallsenergie und im Umkehrschluss auch die der Neutrinos bestimmt werden.

Spannungsmesser aus Münster

Dabei ist extreme Präzision notwendig. Sie zu erreichen, gehört zu den Grundproblemen des Experiments. „Münster ist dafür verantwortlich, dass das elektronenmagnetische Design der ganzen Apparatur mit über 30 supraleitenden Magenten und den zwei Spektrometern stimmt“, so Weinheimer. Noch schwieriger ist es, die immer gleiche Spannung zu halten. Zur Eichung vermessen die münsterschen Wissenschaftler Elektronen, deren Spannung immer auf dem gleichen Level bleibt.

Kein Voltmesser auf der Welt kann 18.600 Volt messen, deshalb wird am Institut ein Präzisionsspannungsteiler entwickelt. Die Gefahr, dass der Elektronenstrom aus dem Tritiumzerfall durch andere Elektronen verunreinigt wird, ist sehr hoch. Deshalb entwirft Weinheimer mit seiner Gruppe feine Drahtgitter, die das verhindern sollen. „Wegen der Hochspannung und des Vakuums ist das allerdings keine triviale Aufgabe“, so der Physiker.

Noch wird „Katrin“ gebaut, die ersten Messungen im Ernstfall sind 2008 zu erwarten. Bis die notwendige Menge an Daten gesammelt ist, werden weitere Jahre vergehen. Für Weinheimer, seit einem halben Jahr in Münster, ist das Projekt schon jetzt ein Erfolg: „Es ist toll, hier mit so gut ausgebildeten Mitarbeitern arbeiten zu können.“

(Universität Münster, 08.06.2005 – NPO)

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