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Technik

Hochleistungsmikroskop hängt von Bungee-Seilen

Mit einem außergewöhnlichen System dämpfen Forscher die kleinsten Vibrationen

Das Hochleistungsmikroskop wird an Bungee-Seilen aufgehängt. © TU Wien

Mikroskop in der Schwebe: Forscher haben eine ungewöhnliches Dämpfungssystem entwickelt, um die Bildqualität von Hochleistungsmikroskopen zu verbessern. Dafür steht das Mikroskop nicht mehr auf dem Boden, sondern hängt – gehalten von Bungee-Seilen – von der Decke. Die Hängekonstruktion neutralisiert die ständigen Vibrationen durch Wind, Verkehr und andere Störfaktoren und ermöglicht es einzelne Atome exakter abzubilden.

An der Technischen Universität Wien steht eines der präzisesten Messgeräten der Welt: Mit einer Kombination aus Rastertunnel- und Rasterkraftmikroskop können Forscher Bilder einzelner Atome erzeugen oder Molekülen bei ihrer Reaktion zuschauen. Um eine derartig hohe Auflösung zu erreichen, scannt eine extrem feine Nadel über eine Oberfläche. Kleinste, atomgroße Erhebungen werden so sichtbar.

Anfällig für Störvibrationen

Die Schwierigkeit dabei: Die Position dieser Spitze muss dabei mit einer Präzision im Bereich von Picometern kontrolliert werden – das sind Milliardstel eines Millimeters. „Es ist als müsste man eine Nadel mit der Länge des gesamten Erddurchmessers mit einer Präzision im Millimeterbereich steuern“, erklärt Michael Schmid von der TU Wien.

Die hohe Auflösung hat damit einen Nachteil: Das Mikroskop ist extrem anfällig für Vibrationen, schon ein vorbeifahrender LKW kann das Messergebnis unbrauchbar machen. „Andere Forschungsgruppen, die ähnliche Mikroskope betreiben, stellen sie in speziell schwingungsgedämpften Kellern auf, oder in eigens dafür vorgesehenen Gebäuden“, sagt Ulrike Diebold von der TU Wien. „Wenn ich dann erzähle, dass wir dieses Gerät in einem Hochhaus mitten in Wien betreiben, direkt über der U-Bahn, ernte ich auf Konferenzen oft nur ungläubige Blicke.“

Auf die Schwingungen kommt es an

Damit das Mikroskop mitten in der Stadt laufen kann, mussten die Wissenschaftler ein neues Dämpfungssystem entwickeln. „Uns war recht rasch klar, dass herkömmliche Schwingungsdämpfungen für unseren komplizierten Fall nicht ausreichen“, sagt Schmid. „Kommerziell erhältliche Lösungen filtern zwar hochfrequente Schwingungen, aber die niedrigen Frequenzen wird man damit kaum los.“

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Davor mussten die Forscher aber die Art und Quellen der Störvibrationen analysieren. Messungen ergaben: Der Wind lässt das Hochhaus mit nur wenigen Hertz schwingen. Auch die U-Bahn lässt das Gebäude jedes Mal vibrieren, wenn sie darunter herfährt. Eine mysteriöse Schwingung bei 20 Hertz gab den Forschern jedoch Rätsel auf. Sie war nur zu bestimmten Tageszeiten zu spüren, machte Messungen aber unmöglich. „Es dauerte eine Weile, bis wir erkannten, dass es sich dabei um die Schwingung der Kompressoren im Keller handelt, mit denen Helium verflüssigt wird“, erzählt Schmid.

Bungee-Seile als Dämpfer

Um all diese Schwingungen zu neutralisieren, kamen die Forscher auf eine ungewöhnliche Lösung: Sie hängten das ganze Mikroskop an die Decke – an 36 Bungee-Seilen. Die elastischen Seile sind besonders gut darin, niederfrequente Schwingungen abzufangen. Mit einem Abstand von zwei Millimeter baumelt die Plattform über dem Boden, Sensoren ermitteln den richtigen Abstand.

Ändert sich der Abstand, wird durch Elektromotoren automatisch nachjustiert. „Das ist wichtig, weil es während der Experimente zu Gewichtsverlagerungen kommt“, erklärt Schmid. „Wir verwenden flüssigen Stickstoff, um unsere Proben zu kühlen. Der Stickstoffvorrat befindet sich direkt am Mikroskop, wenn er verdampft, wird er leichter – die Gesamtkonstruktion muss aber exakt horizontal bleiben.“

Eine Aufnahme einzelner Atome - links ohne Vibrationsdämpfung, rechts mit Vibrationsdämpfung © TU Wien

Beste Bilder, trotz Großstadt

Erste Tests ergaben, dass die neuartige Hängekonstruktion Vibrationen besser abfängt als kommerziell erhältliche Systeme. So konnten die Forscher alles aus dem Hochleistungsmikroskop herausholen und bereits erfolgreiche Messungen durchführen – trotz des eigentlich ungünstigen Standortes. „Wir hätten sonst in ein anderes Gebäude ausweichen müssen, aber das hätte wiederum andere Nachteile mit sich gebracht“, sagt Diebold. „So hätten wir anderswo keinen so leichten Zugang zu flüssigem Stickstoff und flüssigem Helium.“

Mittlerweile haben die Forscher ihr Dämpfungssystem patentiert. „Wir hoffen natürlich, dass auch andere Institutionen unsere Idee aufgreifen und ebenfalls ihre Ergebnisse so drastisch verbessern können wie wir“, sagt Schmid.

(Technische Universität Wien, 10.04.2018 – YBR)

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