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Umwelt

Ölsand-Abbau als Schwebstoff-Schleuder

Bitumendämpfe erzeugen mehr organische Aerosole als bisher angenommen

Blick auf eine Anlage zum Ölsand-Abbau in Kanada - aus den Verarbeitunghsablagen und den Tümpeln steigen - größtenteils unsichtbar - Kohlenwasserstoff-Dämpfe auf. © Environment Canada

Großflächige Verseuchung: Die Ölsandgewinnung verseucht nicht nur die unmittelbare Umgebung, die aufsteigenden Dämpfe führen auch zur Bildung von gewaltige Wolken aus organischen Schwebstoffen. Allein die kanadischen Abbaugebiete sind bereits eine der größten Quellen solcher Schwebstoffe in ganz Nordamerika – mit potenziell weitreichenden Folgen für Umwelt und Klima, wie kanadische Forscher im Fachmagazin „Nature“ berichten.

Seit klassische Ölvorkommen knapp werden, werden in vielen Gegenden der Erde auch sogenannte unkonventionelle Vorkommen erkundet und ausgebeutet. Zu diesen gehören ölhaltige Sände, die in den kanadische Provinzen Alberta und Saskatchewan bereits in großem Stil abgebaut werden. Durch heißes Wasser, Dampf und verschiedenen Katalysatoren wird dabei das Öl aus dem Bitumen abgetrennt.

Doch diese Ölgewinnung hat gravierende Umweltfolgen: Der Tagebau zerstört nicht nur die Landschaft, giftige Kohlenwasserstoffe und Säuren aus den Abbaugebieten verseuchen auch noch Dutzende Kilometer entfernt Böden und Gewässer, wie Forscher bereits 2013 feststellten.

Mit Hilfe eines Messflugzeugs entnahmen die Forscher Luftproben in der Nähe der Anlagen. © Environment Canada

Quelle organischer Schwebstoffe

Jetzt warnen John Liggio von der kanadischen Umweltbehörde und seine Kollegen vor einer weiteren, weitreichenden Folge der Ölsandgewinnung: der Freisetzung enormer Mengen an Schwebstoffen, sogenannten sekundären organischen Aerosolen. Diese entstehen, wenn aufsteigende organische Gase mit dem Sauerstoff der Luft reagieren und dadurch oxidiert werden. Dabei bilden sich Feinstaub-ähnliche Schwebstoffe.

Wie viele solcher sekundären Aerosole bei der Ölsandgewinnung entstehen, haben die Forscher nun erstmals genauer untersucht. Sie flogen dafür mit Messflugzeugen über die Ölabbaugebiete Kanadas hinweg und analysierten die dabei an verschiedenen Stellen der Schwebstoffwolken entnommenen Luftproben.

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Abgasfahne wie eine Megacity

Das Ergebnis: Selbst 120 Kilometer von den Abbaugebieten entfernt war die Aerosolwolke in der vorherrschenden Windrichtung noch deutlich nachweisbar. Die Konzentration der organischen Schwebstoffe lag dabei trotz anhaltender Ausbreitung und Verdünnung der Wolke bei rund zwölf Mikrogramm pro Kubikmeter. „Das spricht für eine erhebliche Bildungsrate dieser Aerosole im Inneren der Wolke“, berichten die Forscher.

Verwüstete Landschaft: Blick in einen Tagebau zur Ölsand-Gewinnung. © Environment Canada

„Die Rate der Produktion organischer Aerosole ist damit vergleichbar mit der Abgasfahne von Megacities wie New York und Paris und ist höher als beispielsweise über Tokio“, so Liggio und seine Kollegen. Ihren Berechnungen nach werden pro Tag in den kanadischen Ölsand-Abbaugebieten 45 bis 84 Tonnen organischer Schwebstoffe gebildet. „Dies macht die Ölsande zu einer der größten Quellen für anthropogene organische Aerosole in ganz Nordamerika“, konstatieren die Forscher.

Bitumendämpfe als Quelle

Chemische Analysen bestätigten, dass diese Schwebstoffe tatsächlich aus den Gasen entstehen, die beim Ölsand-Abbau freiwerden. „Mehr als 90 Prozent der Schwebstoffe in der Wolke waren frisch aus Ölsand-Emissionen gebildet worden“, berichten die Wissenschaftler. „Ihr Massenspektrum ist fast identisch mit dem der Schwebstoffe, die bei der Oxidation von Bitumen-Dämpfen in Laborexperimenten entstehen.“

Diese Dämpfe werden frei, weil die teerhaltigen Bestandteile des Ölsands mit Hilfe von heißem Wasser und anschließendem weiteren Erhitzen vom Sand getrennt werden. Dabei verdampfen viele leichter flüchtige Kohlenwasserstoffe. „Die Auswirkungen auf die Luftqualität durch solche Dämpfe könnten daher weitaus gravierender und verbreiteter sein als bisher angenommen“, warnen die Forscher.

„Ein weltweites Problem“

Und die kanadischen Ölsande sind erst der Anfang: „Bisher machen Schweröl und Bitumen rund zehn Prozent der globalen Erdölgewinnung aus, doch ihr Anteil wächst“, sagen die Forscher. Man schätzt, dass weltweit noch neun Billionen Barrel Erdöl in solchen Vorkommen gespeichert sind. Wie die Wissenschaftler berichten, plant Venezuela bereits, seine Orinoco Ölsande auszubeuten und auch die USA haben bereits angefangen, Bitumenvorkommen in Utah abzubauen.

„Dieses Problem ist daher nicht nur auf Kanada beschränkt“, warnen Liggio und seine Kollegen. „Angesichts des aktuellen Trends zur Ausbeutung unkonventioneller Ölvorkommen benötigen wir dringend weitere Forschungen, um das Ausmaß dieses potenziell globalen Problems zu ermessen.“ (Nature, 2016; doi: 10.1038/nature17646)

(Nature, 26.05.2016 – NPO)

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