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Umwelt

Tschernobyl: Vögel haben sich angepasst

Zellen produzieren mehr Schutzmoleküle gegen DNA-Schäden und Zellstress

Ein Kernbeißer aus der Spoerrzone von Tschernobyl wird untersucht © T.A. Mousseau und A.P. Møller, 2011

Radioaktive Strahlung bedeutet Zellstress und Schäden am Erbgut – normalerweise. Doch in der Sperrzone von Tschernobyl leben Vögel, die gegen diese Strahlenfolgen immun scheinen. Ihr Zellstoffwechsel hat sich im Laufe der mehr als 25 Jahre an die erhöhte Radioaktivität angepasst, wie Forscher herausfanden. Dies sei der erste Beleg für eine solche Strahlungs-Anpassung bei einem Wildtier, berichten sie im Fachmagazin „Functional Ecology“.

Die Atomkatastrophe von Tschernobyl am 26. April 1986 hatte für weite Teile Osteuropas schwerwiegende Folgen. Die Explosion im Reaktorblock 4 setzte damals große Mengen leichtflüchtiger Radionuklide und Gase frei, die die gesamte Region um das Atomkraftwerk stark kontaminierten. Bis heute ist die rund 2.600 Quadratkilometer große Sperrzone das am stärksten radioaktiv verseuchte Gebiet weltweit. Welche Langzeitfolgen dies auf die dort lebenden Tiere und Pflanzen hat, ist bis heute nur in Teilen untersucht.

DNA-Brüche und aggressiver Zellstress

„Vorhergehende Studien an Wildtieren in Tschernobyl zeigten, dass eine chronische Strahlenexposition oxidative Schäden an den Zellen verstärkt und den Gehalt von Antioxidantien senkt“, erklärt Studienleiter Ismael Galván vom spanischen Forschungsrat CSIC. Fehlen jedoch die schützenden Antioxidantien, können die durch die Strahlung entstehenden aggressiven Moleküle DNA-Brüche auslösen und Fehlbildungen und Krebs nach sich ziehen. Diese Studien wurden aber bisher nur an zwei Vogelarten in der Region durchgeführt.

Galván und seine Kollegen haben nun erstmals den Zustand von 152 Vögeln aus 16 verschiedenen Arten in der Sperrzone und knapp außerhalb analysiert. Dafür fingen sie die Vögel mit ausgespannten Netzen kurz ein, entnahmen ihnen Blut und eine Federprobe und wogen sie. Anschließend ließen sie die Tiere wieder frei. Zu den untersuchten Arten gehören unter anderem Kohlmeisen, Buchfinken, Amseln, Singdrosseln, Rotkehlchen und Rauchschwalben. Die Blutproben der Tiere analysierten die Forscher auf DNA-Schäden hin, auf Anzeichen für oxidativen Stress und den Gehalt des Antioxidantiums Glutathion. Außerdem maßen sie die Radioaktivität an jedem Probenort.

Netze der Forscher in der Nähe des Atomkraftwerks Tschernobyl © T.A. Mousseau, 20

Mehr Schutzmoleküle

Das Ergebnis war überraschend: „Wir haben das Gegenteil der vorherigen Studien gefunden: Je höher die Hintergrundstrahlung, desto weniger oxidativen Stress zeigten die Vögel und desto höher war ihr Gehalt an Antioxidantien“, berichtet Galván. Seiner Ansicht könnte dies ein Hinweis auf eine Anpassung an die radioaktive Verseuchung des Gebiets um Tschernobyl sein. Denn aus Laborversuchen sei bereits bekannt, dass eine anhaltende niedrigere Strahlung Lebewesen widerstandsfähiger gegenüber höheren Dosen macht.

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Die ständige Exposition führt offenbar im Laufe der Zeit dazu, dass die Reparaturmechanismen in den Zellen höhertouriger laufen und so die Schäden durch die Radioaktivität besser ausgleichen können. Gleichzeitig wird auch die Produktion von Antioxidantien hochgefahren. Solche Anpassungen waren jedoch bisher nur aus Laborversuchen mit Zellkulturen und Mäusen bekannt.

Erster Beleg für Anpassung an Strahlung

„Unsere Studie liefert den Beleg dafür, dass sich die Vögel physiologisch an die chronische Strahlenbelastung durch Tschernobyl angepasst haben“, konstatieren die Forscher. Das sei der erste Beleg für eine solche Anpassung in freier Wildbahn. Die Belastung von durchschnittlich rund 10 Mikrosievert pro Stunde im Studiengebiet löste offenbar im Laufe mehrerer Generationen bei den Vögeln Veränderungen im Zellstoffwechsel aus, die den oxidativen Stress durch die Radioaktivität ausgleichen.

Allerdings: Nicht alle Arten schaffen diese Anpassung problemlos. Vogelarten mit dunklem Federkleid zeigten deutlich schlechtere Werte, wie die Auswertung zeigte. Die Forscher vermuten, dass dies an einem Ressourcenproblem liegt, weil die Produktion des dunklen Pigments zusätzlich Antioxidantien verbraucht. Selbst wenn diese Vögel mehr dieser schützenden Stoffe erzeugen, reicht dies offenbar nicht aus, um beides zu leisten: den Schutz vor Strahlenstress und die Pigmentproduktion.

„Diese Ergebnisse sind wichtig, denn sie verraten uns mehr darüber, wie gut verschiedene Arten es schaffen, mit Herausforderungen wie Tschernobyl und Fukushima klarzukommen“, so Galván. (Functional Ecology, 2014; doi: 10.1111/1365-2435.12283)

(British Ecological Society (BES), 28.04.2014 – NPO)

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