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Biologie

Menschen sind Bewegungsallrounder

Forscher: Muskeln vielseitig einsetzbar

Laufen hält jung © SXC

Die Muskeln des Menschen sind nicht an eine möglichst sparsame Fortbewegung angepasst, sondern ermöglichen ein ökonomisches Fortbewegungsspektrum. Das ist das Ergebnis einer neuen Studie in der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Science“ (PNAS). Darin zeigt das internationale Wissenschaftlerteam, dass wesentlich an der Fortbewegung beteiligte Muskeln jeweils bei sehr unterschiedlichen Geschwindigkeiten am ökonomischsten arbeiteten.

Dass das Muskelsystem des Menschen weder speziell an ausdauerndes Laufen noch an ermüdungsarmes Gehen angepasst ist, interpretieren die Forscher als evolutionären Vorteil, denn unsere Vorfahren konnten so auch klettern, sprinten, heben und vieles mehr.

Geher oder Läufer?

Als Jäger und Sammler mussten unsere Vorfahren ausdauernd laufen können, um ohne „Fernwaffen“ Beutetiere in Hetzjagden zur Strecke zu bringen, und auf der Suche nach Früchten und Wurzeln mussten sie stundenlang nahezu ermüdungsfrei gehen. Biomechanische Untersuchungen konnten eine Gehgeschwindigkeit von etwa fünf Kilometer pro Stunde als diejenige mit dem deutlich geringsten Energieaufwand pro zurückgelegter Strecke ermitteln.

Jüngere Studien zeigten, dass es ein solches Optimum auch für das Laufen gibt. Anthropologen diskutieren deshalb, ob wir eher Ausdauerläufer oder effektive Geher sind.

„Wir wollten zur Klärung dieser Frage beitragen und untersuchten deshalb einzelne, für die Fortbewegung wesentliche Muskeln auf ihre Optimalgeschwindigkeit“, erklärt Christoph Anders vom Universitätsklinikum Jena den Studienansatz. „Je nach dem, ob wir Läufer oder Geher sind, sollten auch die einzelnen Muskeln im entsprechenden Geschwindigkeitsbereich am effektivsten arbeiten, so unsere Hypothese.“

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Rennender Proband auf dem Laufband © UKJ

Überraschende Ergebnisse

Gemeinsam mit den Biologen Professor David Carrier von der Universität Utah und Nadja Schilling von der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover (TiHo) vermaß der Pathophysiologe die Muskelaktivität bei 17 Probanden, die sich freiwillig für die Wissenschaft auf das Laufband begaben. Für jeweils elf Bein- und zwei Rückenmuskeln ermittelten die Forscher durch elektromyographische Messungen die Fortbewegungsgeschwindigkeit, bei der der Energieaufwand pro zurückgelegter Strecke am geringsten ist.

Das Ergebnis überraschte die Forscher: „Nur einige Muskeln arbeiteten bei mittleren Geh- und Laufgeschwindigkeiten am sparsamsten, andere zeigten bei relativ niedrigen oder auch sehr hohen Geschwindigkeiten ihre geringste Aktivität“, so Schilling. Dabei waren die Unterschiede zwischen den einzelnen Muskeln weit größer als die zwischen den Probanden.

Nicht Geher oder Läufer, sondern Geher und Läufer und Kämpfer und Springer und…

Die gemessenen Daten geben nach Angaben der Wissenschaftler demnach keine Antwort auf die Frage, ob der Mensch ein spezialisierter Ausdauerläufer oder ein Langstreckengeher ist. Sie deuten vielmehr darauf hin, dass der menschliche Bewegungsapparat nicht auf eine ökonomischste Fortbewegung spezialisiert ist.

„Der große Bereich der Optimalgeschwindigkeiten, den wir beobachtet haben, zeigt, dass die Muskeln des menschlichen Bewegungsapparates an vielfältige Bewegungsarten angepasst sind, sowohl an solche zur Fortbewegung als auch an andere“, interpretiert Carrier das Untersuchungsergebnis.

Vielseitigkeit als evolutionärer Vorteil

Diese Vielseitigkeit, so die Wissenschaftler weiter, stellte einen evolutionären Vorteil dar. Zusammen mit der Fähigkeit zu Schwitzen ermöglichte das ökonomische Laufen bei verschiedenen Geschwindigkeiten unseren Vorfahren, Tiere bis zu deren Erschöpfung zu verfolgen. Buschleute in der Kalahari jagen heute noch so.

„Wir sind nicht besonders spezialisiert auf schnelles Laufen, langes Wandern, Klettern, Weitspringen oder Lasten tragen, aber wir können alles leidlich gut“, so Anders. „Unsere Muskeln sind an diese Vielseitigkeit angepasst, und so vielseitig sollten wir sie auch gebrauchen.“ (Proceedings of the National Academy of Science, 2011; doi:10.1073/pnas.1105277108)

(Universitätsklinikum Jena / Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover, 09.11.2011 – DLO)

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