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Energie

AKW-Stresstest: Kommission räumt Lücken ein

Reaktoren wahrscheinlich sicherer als Fukushima, aber Informationen nur bruchstückhaft

Der Stresstest deutscher Atomkraftwerke, der nach dem Atomunfall im japanischen Fukushima veranlasst worden war, ist jetzt abgeschlossen. Das Fazit der Reaktor-Sicherheitskommission: Deutsche Reaktoren sind wahrscheinlich robuster gegenüber einem Stromausfall und Hochwasser, bei Flugzeugabstürzen wären sieben Meiler jedoch ungeschützt. Allerdings gibt es, wie die Experten einräumen, zahlreiche Kenntnis-Lücken, die eine endgültige Bewertung unmöglich machen.

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Die von der Bundesregierung nach dem Atomunfall in Fukushima im März 2011 eingesetzte Reaktor-Sicherheitskommission hat jetzt ihren Bericht zur Bewertung der deutschen Kernkraftwerke vorgelegt. Dieser „Stresstest“ sollte prüfen, inwieweit Extremsituationen, die bisher als unwahrscheinlich galten, wie ein längerer Stromausfall oder ein besonders starkes Hochwasser, die Sicherheit und Funktionsfähigkeit der Anlagen und insbesondere der Kühlung beeinträchtigen würden. Ebenfalls untersucht wurde, wie gut die Kraftwerke vor terroristischen Anschlägen oder beispielsweise einen Flugzeugabsturz gesichert sind.

Die Bewertung der Kommission – für die nur rund 100 Tage Zeit zur Verfügung standen – beruht dabei vor allem auf Prüfung entsprechender Pläne und Unterlagen und auch auf Aussagen der Kraftwerksbetreiber. Ob die laut Vorgaben oder Plänen vorgeschriebenen Überprüfungen, Sicherheitsübungen und Wartungen auch wirklich ordnungsgemäß durchgeführt werden und ob die Technik dem Stand entspricht, wurde nicht geprüft. Die Bewertungskriterien folgten einer Staffelung: Je höher die Reserven zum Schutz vor Einwirkungen, desto höher der Robustheitsgrad.

Robust gegenüber Stromausfall, weniger gegen Hochwasser und Flugzeugabstürzen

Das Fazit des Berichts: Die Experten konstatieren, dass die Stromversorgung der deutschen Kernkraftwerke robuster sei als in Fukushima I – vorausgesetzt, die Angaben der Betreiber stimmen und Lücken in der Information beinhalten keine negativen Faktoren. Die deutschen Kernkraftwerke verfügen meist über mehrere Notstromaggregate, die teilweise besonders gegen äußere Einwirkungen geschützt sein sollen. Unklar bleibt allerdings bei einigen Reaktoren, wieweit die Batteriekapazitäten im Falle des Ausfalls auch der Notstromaggregate reichen.

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Unklar ist ebenso, ob Nachlieferungen beispielsweise von Diesel oder anderen Rohstoffen im Falle einer Überflutung noch fristgerecht erfolgen können. „Bei mehreren Anlagen ist die Zugänglichkeit des Anlagengeländes bei den hier betrachteten Wasserständen eingeschränkt. Bei einigen Anlagen ist das Gelände bereits beim Bemessungshochwasser überflutet. Die RSK empfiehlt in solchen Fällen, dass im Aufsichtsverfahren die Gewährleistung der Sicherheit der Anlage bei einem länger andauernden Hochwasser zu überprüfen ist.“ Besonders schlecht schnitt hier im Vergleich das Kraftwerk Unterweser ab, das auch die Kriterien des untersten Level 1 nicht erreichte.

Keine Überraschung ist die Feststellung, dass die sieben älteren Reaktoren, die derzeit abgeschaltet sind, entweder keinen oder nur einen geringen baulichen Schutz vor Flugzeugabstürzen haben. Weil die bestehenden Fundamente eine Verstärkung der Betonhülle nicht tragen könne, ist auch eine Nachrüstung gegen den Absturz einer Passagiermaschine nicht möglich. Etwas besser schnitten die Reaktoren in Bezug auf den Schutz gegen das Einschleusen von Bomben oder Giftgas ab: Alle erfüllten zumindest den untersten Robustheitsgrad 1.

Informationen ermöglichen nurr lückenhafte Bewertung

Kommissionschef Rudolf Wieland räumte ein, dass die Analysen wegen der Kürze der Zeit unvollständig seien. Abhängig von den betrachteten Themenfeldern über alle Anlagen sei „kein durchgehendes Ergebnis in Abhängigkeit von Bauart, Alter der Anlage oder Generation nachzuweisen“. Die aufgestellten Bewertungskriterien konnten, so der Wortlaut des Berichts, „vielfach nicht auf Basis wissenschaftlicher Grenzbetrachtungen generiert werden, sondern im Wesentlichen nur postuliert.“ An vielen Stellen des Berichts findet dementsprechend die Formulierung: „Die Erfüllung des Schutzgrad X hängt von der Vorlage zusätzlicher Nachweise und deren Bestätigung ab.“

Bundesumweltminister Norbert Röttgen, der den Bericht gestern in Berlin entgegennahm, wertet das Ergebnis dennoch als überwiegend positiv: „Mit dem Bericht sei ein vollkommen neuer Stand in der Sicherheitsdiskussion erarbeitet worden, so Röttgen. Der Minister betonte, dass es aus sicherheitstechnischen Gründen grundsätzlich nicht notwendig sei, die Kernkraftwerke sofort oder kurzfristig abzuschalten. Dennoch empfehle es sich, so schnell wie möglich auf andere Energieformen umzusteigen: aus Gründen der Sicherheit ebenso wie aus wirtschaftlichen.

Umweltorganisationen: Kritik an Prozedere und Einschätzung

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) kann dagegen in den Empfehlungen der Reaktorsicherheitskommission keine akzeptable Grundlage für einen Weiterbetrieb der Reaktoren erkennen. „Im Grunde bestätigt die Reaktorsicherheitskommission, dass es keine Reaktorsicherheit gibt. Flugzeugabstürze und Terrorgefahren sind und bleiben unlösbare Risiken“, sagte der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger. „Hätte die Reaktorsicherheitskommission ihre eigenen Kriterien für die Sicherheit ernst genommen, wäre die endgültige Stilllegung aller Atomkraftwerke die logische Konsequenz. Alle Meiler haben nicht zu beseitigende Sicherheitslücken und sind auch mit Nachrüstmaßnahmen nicht hundertprozentig sicher zu machen. Deshalb müssen sie alle vom Netz und zwar unumkehrbar und noch in der laufenden Legislaturperiode.“

Auch die Umweltorganisationen Greenpeace und NABU bemängelten das Prozedere: Die Kommission habe vor allem einen theoretischen, fehlerfreien und damit stark idealisierten Zustand der Reaktoren betrachtet. Tatsächliche schwere Mängel, wie sie in den Pannenreaktoren Brunsbüttel und Krümmel auftraten, wurden ignoriert. „Wie erwartet war der Zeitraum für eine sorgfältige und unabhängige Sicherheitsüberprüfung aller deutschen Atomkraftwerke zu kurz. Zudem beruhen die heute vorgelegten Ergebnisse der Atomkommission lediglich auf Angaben der AKW-Betreiber und sind damit weitgehend wertlos für die nötigen Beschlüsse der Bundesregierung zum Atomausstieg“, kommentiert NABU-Präsident Olaf Tschimpke.

Die Ergebnisse der Reaktorfachleute gehen nun in die Diskussion und den Bericht der Ethikkommission für sichere Energieversorgung ein. Diesen erhält die Bundesregierung am 30. Mai übergeben. Das Moratorium endet am 15. Juni. In der Woche davor wird das Bundeskabinett die Gesetze zum Atomausstieg und zur beschleunigten Energiewende beschließen.

Der Bericht der Reaktor-Sicherheitskommission als PDF. Scinexx-Special zum Fukushima-Unglück

(Bundesregierung, RSK, NABU, BUND, Greenpeace, 18.05.2011 – NPO)

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