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Neurobiologie

Babys verstehen „Greifen“ ab fünf Monaten

Säuglinge interpretieren zielgerichtetes Greifen einer menschlichen Hand bereits korrekt

Menschliche Säuglinge entwickeln bereits im Alter von vier bis fünf Monaten die Fähigkeit, bestimmte Handlungen zu verstehen: Eine Hand, die sich in Richtung eines Gegenstands bewegt, interpretieren sie korrekt als „will greifen“, nicht jedoch eine Robotergreifzange, die die gleiche Bewegung durchführt. Das Verständnis für Greifhandlungen anderer scheint sich dabei etwa zeitgleich mit dem ersten eigenen gezielten Greifversuchen zu entwickeln, wie Forscher jetzt in der Fachzeitschrift „Experimental Brain Research“ berichten.

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Eltern kennen dies: Was sie tun, wird aufmerksam verfolgt – für ihr Baby ist jede ihrer Regungen hochspannend. Aber verstehen die Säuglinge auch, was sie da sehen? Wann entwickeln sie die Fähigkeit, Handlungsziele anderer zu erkennen? Soziales Denken beginnt früh: Anfangs noch ganz selbstzentriert, lernen Säuglinge sehr schnell, menschliches Verhalten zu interpretieren. „Schon im ersten Halbjahr erkennen die Babys die Richtung des Blickes einer Bezugsperson. Im Alter von etwa einem Jahr erkennen sie bereits zuverlässig einfache Handlungsziele anderer“, erklärt Moritz Daum vom Max- Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften.

Der Entwicklungspsychologe erforscht das frühkindliche Denken an einem der Babylabs des Leipziger Max- Planck-Instituts. „Zu den elementarsten Handlungen für Säuglinge gehört das Greifen“, sagt Daum. „Durch Ergreifen und Betasten von Gegenständen erkunden sie ihre Umgebung.“ Ab wann Säuglinge aber über eine abstrakte Vorstellung der Handlung „Greifen“ verfügen, war bisher nicht klar.

Eye-Tracking verrät Blickrichtung

Um herauszufinden, wann sich diese kognitive Fähigkeit entwickelt, bedienten sich die Forscher der Eye-Tracking-Technologie, die Blickbewegungen aufzeichnet durch unsichtbare Infrarot-Lichtstrahlen, die von der Pupille reflektiert werden. „Der Blickverlauf lässt Rückschlüsse auf das Handlungsverständnis des Kindes zu“, erläutert der Forscher. „Schaut es zum Beispiel bereits auf den Zielort einer Handlung, bevor diese abgeschlossen ist, hat es sie wahrscheinlich verstanden und bereits zu Ende gedacht.“

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Im Experiment zeigten die Wissenschaftler Säuglingen im Alter von drei, fünf und sieben Monaten auf einem Bildschirm eine greifende Hand. Kurz darauf wurde in einiger Entfernung ein buntes Objekt, etwa eine Gummiente, ein Würfel oder ein Hütchen eingeblendet. Erkannten die Kinder eine gezielt greifende Hand, sprang ihre Aufmerksamkeit immer dann besonders schnell zum Objekt, wenn dieses vor der Hand erschien. Tauchte es dagegen sozusagen im Rücken der Hand auf, widersprach das der Erwartungshaltung, die die Kinder geformt hatten. Dann dauerte es länger, bis sie ihren Blick auf das Objekt richteten.

Fähigkeit erst ab viertem Monat

Dieses Verhalten zeigten aber nur die „älteren“ Studienteilnehmer. Für die drei Monate alten Säuglinge machte die Anordnung der Bilder keinen Unterschied. Sie schauten gleich schnell auf

die Objekte, unabhängig davon wo sie erschienen – einen Handlungszusammenhang stellten sie noch nicht her. Daum erklärt das so: „Das Verständnis für Greifhandlungen anderer scheint sich etwa zeitgleich mit dem ersten eigenen gezielten Greifversuchen zu entwickeln, die ungefähr ab dem vierten Monat den angeborenen Greifreflex ersetzen.“

Spezifische Reaktion nur auf menschliche Hand

Aber war den jungen Probanden auch klar, dass sie eine menschliche Hand sahen? „Es wäre denkbar gewesen, dass ihr Blick einfach durch die Form in eine bestimmte Richtung gelenkt wurde“, meint der Forscher. Deshalb vertauschten Daum und seine Mitarbeiter die Hand in einem zweiten Experiment mit einer in Farbe, Form und Größe ähnlichen Greifzange. Für die mechanische „Hand“ blieb der zuvor beobachtete Effekt komplett aus: Weder die fünf noch die sieben Monate alten Säuglinge erkannten sie als Akteur einer Handlung.

„Das Verständnis, dass auch die nichtmenschliche Greifzange in gewisser Weise handeln kann, setzt offenbar erst später in der Entwicklung ein“, schlussfolgern die Forscher. Dazu passe, dass auch bei Erwachsenen die Handlungen von Menschen immer noch effizienter verarbeitet werden als etwa diejenigen eines Roboters. „Das kognitive System zum Verstehen von Handlungen funktioniert also nicht für alle möglichen Akteure gleich, sondern reagiert von Anfang an besonders sensibel auf menschliches Handeln.“

(Max- Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften, 22.11.2010 – NPO)

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