Säuglinge in der näheren Umgebung von Kernkraftwerken haben kein höheres Risiko, mit einer angeborenen Fehlbildung zur Welt zu kommen als Kinder in anderen Regionen Deutschlands. Das ist das Ergebnis der weltweit umfangreichsten Studie zu diesem Thema, erstellt im Auftrag des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS). Es besteht allerdings ein erhöhtes Risiko für Kinder unter fünf Jahren, an Leukämie zu erkranken – warum, ist noch unklar.
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Nach wie vor ist die Gesundheitsgefährdung durch Kernkraftwerke für die unmittelbare Umgebung umstritten. Bereits vor einiger Zeit hat daher das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) die Häufigkeit von Tumoren bei Kindern unter fünf Jahren in der Umgebung aller westdeutschen Kernkraftwerke untersuchen lassen. Dabei zeigte sich, dass im Nahbereich der Reaktoren ein erhöhtes Erkrankungsrisiko für Krebserkrankungen bei Kindern, insbesondere bei Leukämien besteht. Die Ursache dieses Risikos ist allerdings bislang nicht geklärt. Denn nach derzeitigem wissenschaftlichem Kenntnisstand kann der beobachtete Anstieg der Erkrankungen nicht allein durch die Strahlenbelastung aus einem Atomkraftwerk erklärt werden.
Fehlbildungen bei Säuglingen verglichen
Parallel dazu gingen Wissenschaftler der Universität Mainz im Auftrag des BfS nun der Frage nach, ob es in der Umgebung von Kernkraftwerken möglicherweise auch ein erhöhtes Fehlbildungsrisiko gibt. Hierzu wurden im Umkreis von zehn Kilometern um die Reaktoren Biblis und Phillipsburg sowie in einer
kernkraftwerksfernen Vergleichsregion alle Geburten und Aborte zwischen November 2006 und Februar 2008 erfasst (prospektive Kohortenstudie). Die Studie umfasste 5.273 Kinder und Feten, davon
5.218 Lebendgeborene, 30 Totgeborene und 25 induzierte Aborte. Die Lebendgeborenen wurden von speziell geschulten Kinderärzten untersucht. Alle erfassten Fehlbildungen wurden von einem internationalen Expertengremium klassifiziert.
Keine Häufung der Nähe von Kernkraftwerken
Dabei zeigte sich kein Unterschied in der Häufigkeit angeborener Fehlbildungen zwischen der Umgebung der beiden Kernkraftwerksstandorte und der Vergleichsregion. Von den 2.423 Kindern der Studienregion hatten 108 eine Fehlbildung (4,5 Prozent) und in der Vergleichsregion 135 von 2.850 Kindern (4,7 Prozent). Außerdem zeigt sich auch kein Abstandtrend in der Umgebung der Reaktoren, der auf ein zunehmendes Risiko mit zunehmender Nähe des Wohnorts zu den Reaktoren hinweist.
„Soviel hatten wir aufgrund der Erfahrungen des Mainzer Modells erwartet. Dies spricht gegen einen Einfluss des mütterlichen Wohnsitzes in der Nähe eines Kernkraftwerkes auf angeborene Fehlbildungen. Zudem gibt es in dieser Studie auch keinen Hinweis darauf, dass die Häufigkeit von Fehlbildungen mit der räumlichen Nähe des Wohnortes zum Kernkraftwerk zunimmt“, stellt Studienleiterin Annette Queißer-Wahrendorf vom Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin fest.
Erhöht Arbeit im Atomkraftwerk das Fehlbildungsrisiko?
In weiteren Auswertungen der Daten der Fehlbildungsstudie entdeckten die Wissenschaftler allerdings Hinweise darauf, dass eine Beschäftigung der Mütter als beruflich strahlenexponierte Person im Bereich der Medizin möglicherweise mit einem erhöhten Fehlbildungsrisiko einhergehen könnte. Allerdings beruht dieser Hinweis auf wenigen Einzelfällen.
Ob hier ein Zusammenhang zu Strahlenexpositionen oder zu anderen Ursachen im beruflichen Umfeld besteht und ob dieser Zusammenhang in weiteren Studien bestätigt werden kann oder möglicherweise zufällig ist, bedarf der weiteren Klärung. Das BfS wird hierzu weitere Untersuchungen beauftragen.
(Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), 22.07.2010 – NPO)