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Ökologie

Massensterben am Meeresgrund: Forscher auf Spurensuche

Hausgemachte Todeszonen sollen Prozesse und Folgen am Meeresgrund klären

Todeszone im Kleinformat: Im Kubus sind Tiere und Pflanzen eingeschlossen © Universität Wien

Unter dem blauen Meeresspiegel ringen Organismen um Luft und Leben: Weltweit gibt es in Küstenbereichen bereits 400 sauerstoffarme Zonen, so genannte Todeszonen. Zusammengenommen beträgt ihre Fläche rund 250.000 Quadratkilometer – ein Gebiet so groß wie Deutschland. Was genau in diesen Zonen geschieht, ist bisher nur teilweise bekannt. Mit ungewöhnlichen Mitteln, darunter einer „hausgemachten“ Todeszone geht ein österreichisches Forscherteam der Problematik experimentell auf den Grund.

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Ursache des Massensterbens am Meeresgrund sind so genannte Sauerstoffkrisen. „Man spricht von Eutrophierung – Nährstoffanreicherung im Gewässer – in Zusammenhang mit einer saisonal bedingten Schichtung des Wasserkörpers“, erklärt Michael Stachowitsch, Meeresbiologe der Universität Wien. „Über verschmutzte Flüsse gelangen zu viele Nährstoffe wie Stickstoff oder Phosphor ins Meer und fördern das Wachstum von Algen.“ Beim Abbau dieser Biomasse entsteht Sauerstoffmangel. Den bekommt die „ozeanische Müllabfuhr“ zuerst zu spüren: Sterben wasserfiltrierende Organismen wie Schwämme und Muscheln, müssen an ihrer Stelle Bakterien das organische Material verwerten. Das kostet noch mehr Sauerstoff: ein Teufelskreis.

Todeszone unter der Plexiglaskammer

Was am Meeresboden im Detail passiert, wenn eine Todeszone entsteht, untersuchte Stachowitsch mit seiner Kollegin Bettina Riedel und einem Team in der nördlichen Adria vor der slowenischen Küste. Dort sitzen die Forscher allerdings nicht im Boot und suchen nach der – schwer vorhersehbaren –

nächsten Sauerstoffkrise: Sie machen sich ihre eigene: „EAGU“ (Experimental Anoxia Generating Unit) ist ein Unterwassergerät, das am Meeresboden positioniert wird und Sauerstoffkrisen im „Kleinformat“ erzeugt. Diesem 50 x 50 x 50 Zentimeter großen, würfelförmigen Ökosystem geht langsam die Luft aus.

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Eine Zeitrafferkamera schießt alle paar Minuten Fotos, Sensoren messen Temperatur, Sauerstoff, Schwefelwasserstoff und den pH-Wert. Fünf bis sieben Tage dauert ein Experiment. Die dabei gewonnenen Daten geben Aufschluss über die Veränderung des Ökosystems bei Eintreten von Sauerstoffmangel, aber auch über die Wiederbesiedlung einer Dead Zone, wenn die Krise vorbei ist: Dafür bleiben die Wände des bodenlosen Unterwassergeräts jeweils am Anfang und am Ende jedes Experiments eine Zeitlang offen.

Ziel: Sauerstoffkrisen voraussagen

Neben der Klassifizierung der Arten in „empfindliche“ und „tolerante“sind Veränderungen im Verhaltensmuster der Organismen für die Forscher besonders spannend. Im Kubus eingeschlossen sind Schwämme, Seescheiden, Schlangensterne, Seeigel, Seegurken und Schnecken, aber auch Meiofauna-Organismen wie Foraminiferen und kleine Krebstiere. Geht ihnen die Luft aus, versuchen die meisten, nach oben zu krabbeln. Auch Arten, die eigentlich im Sediment leben, kommen dann an die Oberfläche.

Ziel des Projekts ist es, einen Verhaltenskatalog der betroffenen Arten zu erstellen. Stachowitsch: „Wenn man weiß, welche Arten empfindlich sind und welche weniger, kann man an der Biodiversität und am Verhalten der Lebewesen in einem bestimmten Areal ablesen, wann die letzte Sauerstoffkrise war – oder ob eine bevorsteht“. Nur dann können Küstenmanager und verantwortliche Politiker entsprechende Maßnahmen setzen. „Auch wenn die Ausmaße der Katastrophe an der Meeresoberfläche nicht immer sichtbar sind: Letztendlich trifft es uns alle, wenn eines der produktivsten marinen Ökosysteme – nämlich seichte Küstengewässer – kippen.“

(Universität Wien, 14.10.2009 – NPO)

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