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Technik

Memristoren: Neue Bauteile nach Vorbild unserer Synapsen

Perowskit macht vom Gehirn abgeschaute Computerbauteile leistungsfähiger

Neurocomputing
Memristoren sind Computerbauteile nach dem Vorbild der Synapsen im menschlichen Gehirn. Einen neuen Typ solcher Bauteile haben Forscher nun entwickelt. © Metamorworks/ Getty images

Dem Gehirn nachempfunden: Forscher haben eine neue Art von Memristoren entwickelt – Computerbauteile, die ähnlich lernen wie unsere Neuronen. Dank einer neuartigen Architektur und dem Halbleitermaterial Perowskit können sie selbst komplexe Signale verarbeiten und aus ihnen lernen. Möglich wird dies unter anderem dadurch, dass diese Bauteile sowohl Ionen als auch Elektronen leiten. Gleichzeitig sind die neuen Perowskit-Memristoren einfacher in der Herstellung als ihre Vorgänger.

Das menschliche Gehirn ist modernen Computern noch immer in vieler Hinsicht überlegen. Zwar sind Computer beim Rechnen und bei Datenanalysen schneller als der Mensch, dafür verarbeiten wir mühelos komplexe sensorische Informationen und lernen schnell und effizient aus unseren Erfahrungen. Unser Gehirn ist zwar das energiehungrigste Organ unseres Körpers, benötigt aber trotzdem nur knapp halb so viel Energie wie ein Laptop. Künstliche Intelligenzen wie ChatGPT basieren dagegen auf großen, weit mehr Energie schluckenden Rechnersystemen.

Memristor: Synapsen als Vorbild

Einer der Gründe für die Energieeffizienz unseres Gehirns ist sein Aufbau. Die einzelnen Neuronen und ihre Kontaktstellen, die Synapsen, können Informationen sowohl speichern als auch verarbeiten. Bei Computern ist der Speicher dagegen vom Prozessor getrennt, und die Daten müssen zwischen diesen beiden Einheiten hin- und hertransportiert werden. Die Geschwindigkeit dieses Transports ist begrenzt, was bei sehr großen Datenmengen den ganzen Rechner langsamer macht.

Eine mögliche Lösung für diesen Engpass sind neuartige Computerarchitekturen, die dem menschlichen Gehirn nachempfunden sind. Dafür tüfteln Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an sogenannten Memristoren: Bauteilen, die, ähnlich wie Gehirnzellen, die Speicherung und die Verarbeitung von Daten kombinieren.

Perowskit als Memristor-Material

Einen besonders leistungsfähigen und einfach herstellbaren Memristor hat nun ein Team um Rohit John von der ETH Zürich und der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt Empa entwickelt. Der entscheidende Fortschritt dabei: Die neuartigen Memristoren basieren auf Halogenid-Perowskit-Nanokristallen, einem Halbleitermaterial, das aus der Herstellung von Solarzellen bekannt ist. „Halogenid-Perowskite leiten sowohl Ionen als auch Elektronen“, erklärt Rohit John. „Diese doppelte Leitfähigkeit ermöglicht komplexere Berechnungen, die den Prozessen im Gehirn näherkommen.“

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Für ihre Studie konstruierten die Forscher Perowskit-Memristoren sogenannter zweiter Ordnung. Diese können dank der Fähigkeit, sowohl Ionen als auch Elektronen zu leiten, nicht nur auf eine Form der Signalveränderung reagieren, wie bisherige einfache Varianten solcher Bauteile. Stattdessen reagieren die Memristoren sowohl auf das Timing wie auf die Rate der eingehenden Signale – ähnlich wie die Synapsen in unserem Gehirn.

„Diese Memristoren fungieren damit als neuer Baustein für Algorithmen und Systeme, die anders als die Bauteile erster Ordnung keine komplizierten Timing-Schaltkreise und komplexen Systemarchitekturen benötigten“, erklären die Forscher.

Visuelles Lernen als Test

Um zu testen, wie solche Memristoren lernen, simulierte das Team daraufhin eine komplexe Rechenaufgabe, die einem Lernprozess im visuellen Cortex des Gehirns entspricht. Dabei ging es darum, anhand von Signalen von der Netzhaut die Ausrichtung eines Leuchtbalkens zu bestimmen.
„Unseres Wissens nach ist dies erst das zweite Mal, dass diese Art von Berechnung auf Memristoren durchgeführt wurde“, sagt Johns Kollege Maksym Kovalenko.

Tatsächlich zeigten die Memristoren ein Lernverhalten, das dem des Gehirns ähnelt: „Analog zur Biologie zeigen die Geräte eine kurzfristige synaptische Plastizität, die sich in einer Erhöhung der Signalamplitude beim zweiten von zwei aufeinanderfolgenden postsynaptischen Erregungsströmen zeigt“, berichten die Forscher. Bei wiederholter, anhaltender Stimulation entwickelte der Memristor dann für diese Reize auch eine Art Langzeitgedächtnis. „Damit ermöglichen die Eigenschaften dieser Memristoren die Implementierung neuer Lernmechanismen“, so das Team.

Einfachere Herstellung

Vorteilhaft an den Perowskit-Memristoren ist auch ihre vergleichsweise einfachere Herstellung: Im Gegensatz zu vielen anderen Halbleitern brauchen Perowskite keine hohen Temperaturen für die Kristallisation. Außerdem entfällt bei den neuen Memristoren die aufwändige Vorkonditionierung durch bestimmte elektrische Spannungen, die vergleichbare Bauteile für solche Rechenaufgaben benötigen. Das macht sie schneller und energieeffizienter.

„Es ist aber nicht unser Ziel, die klassische Computerarchitektur zu ersetzen», erklärt Koautor Daniele Ielmini vom Polytechnikum Mailand. „Vielmehr wollen wir alternative Architekturen entwickeln, die bestimmte Aufgaben schneller und energieeffizienter erledigen können. Dazu gehört zum Beispiel die parallele Verarbeitung von großen Datenmengen, wie sie heute überall anfallen, von der Landwirtschaft bis hin zur Weltraumforschung.“

…aber Probleme bei der Integration in Silizium-Chips

Noch ist die Technologie allerdings nicht ganz einsatzbereit. Denn die einfache Herstellung der neuen Memristoren erschwert zugleich ihre Integration in herkömmliche Computerchips: Perowskite können den Temperaturen von 400 bis 500 Grad, die für die Verarbeitung von Silizium benötigt werden, nicht standhalten – zumindest noch nicht. Doch diese Integration gilt als Voraussetzung für solche neuen, gehirnähnlichen Computertechnologien.

Doch es gibt noch weitere Materialien mit ähnlichen Eigenschaften, die für die Herstellung von leistungsfähigen Memristoren des gleichen Typs in Frage kommen. „Wir können unser Memristoren-Design nun mit unterschiedlichen Materialien testen“, sagt Koautor Alessandro Milozzi vom Polytechnikum Mailand. „Womöglich eignen sich manche davon besser für die Integration mit Silizium.“ (Science Advances, 2023; doi: 10.1126/sciadv.ade0072)

Quelle: Empa – Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt

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