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Neurobiologie

Wie die Chemotherapie dem Gehirn schadet

Zytostatika stören den Reifeprozess von Gliazellen

Krebspatientin
Bei Krebs gehört die Chemotherapie zur Standardbehandlung. © Ridofranz/ iStock.com

Nebenwirkung im Gehirn: Forscher haben herausgefunden, warum eine Chemotherapie die kognitive Leistungsfähigkeit beeinträchtigen kann. Demnach beeinflussen die verabreichten Mittel gleich drei unterschiedliche Zelltypen in der weißen Substanz. Durch ein gestörtes Wechselspiel zwischen diesen Zellen kommt es dazu, dass wichtige Gliazellen nicht richtig heranreifen. Als Folge schrumpft die schützende Isolierschicht um die Nervenfasern – und es entstehen kognitive Probleme.

Im Falle einer Krebserkrankung gehört die Chemotherapie oft zur Standardbehandlung. Dabei werden dem Körper Zellgifte verabreicht, die im Idealfall die Tumorzellen töten. Die regelmäßigen Giftdosen setzen aber auch dem Rest des Organismus zu. Dies zeigt sich an Nebenwirkungen wie Übelkeit und Erbrechen, Erschöpfung oder einem geschwächten Immunsystem.

Auch das Gehirn leidet unter der Therapie: Viele Patienten erleben, dass sie kognitiv weniger leistungsfähig sind. Selbst Monate bis Jahre nach Abschluss der Behandlung kann es zu Aufmerksamkeits- und Konzentrationsproblemen bis hin zu motorischen Schwierigkeiten kommen. Dieses unter dem englischen Begriff „Chemobrain“ bekannte Phänomen fällt bei Kindern häufig besonders extrem aus.

Rätselhafter Zellschwund

„Es ist schön, dass die Patienten dank der Chemotherapie am Leben sind. Aber ihre Lebensqualität leidet sehr“, sagt Erin Gibson von der Stanford University in Palo Alto. Um dies künftig verhindern zu können, haben sich die Wissenschaftlerin und ihre Kollegen nun auf die Suche nach den Ursachen und potenziellen Therapiemöglichkeiten für den Chemobrain gemacht.

Dafür verglichen sie zunächst Hirngewebe von Kindern, die eine Chemotherapie erhalten hatten mit Gewebe von Gesunden. Das Ergebnis: In der weißen Substanz des Frontallappens waren bei den ehemaligen Krebspatienten deutlich weniger Oligodendrozyten vorhanden. Diese Gliazellen umwickeln die Axone der Nervenzellen und bilden das sogenannte Myelin – eine schützende Isolierschicht, die für die Funktionsfähigkeit der Nerven wichtig ist.

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Gestörter Reifeprozess

Was war mit diesen Zellen passiert? Dies testeten die Forscher, indem sie Mäusen das vielfach eingesetzte Chemotherapeutikum Methotrexat verabreichten. Drei Wochen lang erhielten die Nager wöchentlich Giftdosen, die im Verhältnis mit denen vergleichbar sind, denen Menschen bei der Krebsbehandlung ausgesetzt sind.

Die Folgen: Im Vergleich zu nicht behandelten Mäusen veränderte sich das Gehirngewebe der Versuchstiere deutlich. So zeigte sich, dass sich das Mittel offenbar auf Oligodendrozyten-Vorläuferzellen ausgewirkt hatte. Diese Zellen können sich normalerweise schnell teilen und zu reifen Oligodendrozyten entwickeln, um abgestorbene Zellen zu ersetzen. Dieser Erneuerungsprozess funktionierte nun jedoch nicht mehr richtig.

Umgebung ist entscheidend

Statt zügig heranzureifen, verharrten die Zellen in einer Art Zwischenstadium und reiften nicht vollständig aus. Dadurch schrumpfte schließlich die Myelin-Isolierung um die Nervenfasern, wie Gibson und ihr Team berichten. Diese krankhafte Entwicklung im Gehirn offenbarte sich auch im Verhalten der Nager: Sie bewegten ihre Pfoten langsamer, waren ängstlicher und zeigten ein eingeschränktes Aufmerksamkeits- und Erinnerungsvermögen – diese Symptome hielten teilweise noch sechs Monate nach der Behandlung an.

Warum aber entwickelten sich die Vorläuferzellen nicht planmäßig? Weitere Untersuchungen deuteten darauf hin, dass womöglich die Umgebung und der Einfluss anderer Zellen eine entscheidende Rolle spielen. Konkret zeigte sich: Die Immunzellen des Gehirns, Mikroglia genannt, waren nach der Gabe des Methotrexat verstärkt aktiv. Diese Immunaktivierung schien wiederum den Astrozyten Probleme zu bereiten – Zellen, die Neuronen unter anderem mit Nährstoffen versorgen.

Ansatz für Therapien

Ein derzeit in klinischen Studien erprobtes Medikament, das der Überaktivität der Mikroglia entgegenwirkte, behob diese Probleme. Wie das Forscherteam berichtet, reiften in Folge auch die Oligodendrozyten wieder normal heran und viele der kognitiven Beschwerden der Nager verschwanden. „Diese Ergebnisse zeigen wieder einmal, wie wichtig die Kommunikation zwischen unterschiedlichen Zelltypen ist“, sagt Gibsons Kollegin Michelle Monje.

In einem nächsten Schritt wollen die Wissenschaftler nun genauer herausfinden, wie die einzelnen Zellen miteinander kommunizieren und wie Mittel wie Methotrexat diesen Austausch behindern. „Wenn wir die zellulären und molekularen Mechanismen verstehen, werden wir Strategien für eine effektive Behandlung entwickeln können“, schließt Monje. (Cell, 2018; doi: 10.1016/j.cell.2018.10.049)

Quelle: Stanford Medicine

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