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Medizin

Tuberkulose in den Selbstmord treiben

Toxin-Antitoxin-System der Bakterien könnte neue Behandlungsmöglichkeiten eröffnen

Toxin-Antitoxin-System Tuberkulose
Das Toxin-Antitoxin-Systems liegt als Komplex in Form eines Doppelrings vor. © EMBL Hamburg

Neue Strategie gegen TB? Erreger der Tuberkulose besitzen eine Art Selbstmordsystem, das sich möglicherweise als Angriffspunkt für Therapien eignet: In Stresssituationen wird in den Bakterienzellen ein für sie tödliches Gift aktiviert. Dieses Gift wird unter normalen Umständen zwar durch ein Gegengift neutralisiert und bildet mit ihm einen sehr stabilen Komplex, wie Forscher berichten. Versuche mit Mäusen zeigen jedoch: Gelingt es, das Toxin künstlich zu aktivieren, kann die Krankheit aufgehalten werden.

Die Tuberkulose gehört zu den großen Seuchen der Menschheit: Ihr Erreger befiel schon unsere afrikanischen Vorfahren und raffte in Europa vom Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert sogar jeden Fünften dahin. Doch auch heute ist die früher häufig als Schwindsucht bezeichnete Infektionskrankheit nicht besiegt – sie gehört noch immer zu den zehn häufigsten Todesursachen weltweit. Vor allem in den Entwicklungsländern sterben jährlich zwischen ein und zwei Millionen Menschen daran.

Gift und Gegengift

Zwar lässt sich das Mycobacterium tuberculosis erfolgreich mit Antibiotika behandeln. Mangelnde Versorgung und der zunehmende Vormarsch resistenter Stämme erschweren den Kampf gegen den Erreger jedoch. Auf der Suche nach alternativen Behandlungsmethoden haben sich Diana Freire vom European Molecular Biology Laboratory (EMBL) in Hamburg und ihr Team nun den sogenannten Toxin-Antitoxin-Systemen des Tuberkulose-Erregers gewidmet.

Bekannt war in diesem Zusammenhang bereits: Bakterien wie der Tuberkulose-Keim produzieren Toxine, die auch für sie selbst giftig sind. Unter normalen Umständen werden diese durch ein dazugehöriges Antitoxin neutralisiert – unter Stressbedingungen bauen spezielle Enzyme die Antitoxine jedoch ab, sodass das Gift wirken kann. In Folge wird das Wachstum der Bakterien stark gehemmt, bis wieder bessere Bedingungen herrschen.

Selbstmordsystem im Visier

Während die Erreger die Aktivierung ihrer Toxine in der Regel überleben, ist das bei einzelnen der insgesamt 80 Toxin-Antitoxin-Systeme des Tuberkulose-Bakteriums nicht der Fall: In diesen Systemen tötet die Abwesenheit des Antitoxins die Bakterienzellen. Eines davon haben die Forscher nun untersucht: „Unser Ziel war es, die Struktur dieses Systems zu sehen, um sie verstehen und vielleicht sogar manipulieren zu können“, erklärt Freires Kollegin Annabel Parret.

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Dafür untersuchten die Wissenschaftler die Kristallstruktur dieses besonderen Toxin-Antitoxin-Paares. Die Ergebnisse zeigten: Gift und Gegengift liegen als großer Komplex in Form eines Doppelrings vor. Weitere Analysen offenbarten, dass das Toxin des Systems ein wichtiges zelluläres Stoffwechselprodukt namens NAD+ abbaut, das die Bakterien zum Überleben brauchen.

Neuer Therapieansatz?

Warum die Bakterien über ein solches Selbstmordsystem verfügen, ist dem Forscherteam zufolge rätselhaft. Außer Zweifel stehe jedoch, dass es sich als potenzieller Angriffspunkt für neue Tuberkulose-Medikamente eigne. So zeigten erste Versuche mit Mäusen: Wurden die Nager mit einem speziellen Bakterienstamm infiziert, dem das Antitoxin fehlte, reduzierte die Aktivierung des Toxins die Bakterienlast deutlich – die Überlebensrate der Tiere stieg.

„Wenn es uns gelänge, bei Tuberkulosepatienten Moleküle zu finden, die imstande sind, das Toxin-Antitoxin-System zu stören – und damit den Zelltod auszulösen – könnte sich daraus ein vielversprechendes Medikament entwickeln“, sagt Parret. Genau auf diese Fähigkeit hin wollen die Forscher in Zukunft tausende von kleinen Molekülen untersuchen. Doch dieses Unterfangen dürfte sich als schwierig erweisen.

Schwer zu knacken

Denn die Strukturanalysen offenbarten auch, dass der Komplex des Toxin-Antitoxin-Paares nicht leicht zu knacken ist: Die Struktur des Systems ist so stabil, dass es sehr schwer sein wird, einen Eintrittspunkt zu finden, über den es sich aufbrechen lässt. „Wir wollen nun besser den natürlichen Mechanismus verstehen, der zur Befreiung des für das Tuberkulosebakterium tödlichen Toxins von seinem Gegengift führt und es somit aktiviert“, sagt Freires Kollege Matthias Wilmanns.

Sollte den Forschern dies gelingen, könnte sich daraus nicht nur ein neuartiger Ansatz zur Behandlung von Tuberkulose ergeben – sondern auch von anderen Infektionskrankheiten. Ähnliche Toxin-Antitoxin-Systeme sind nämlich auch von anderen bakteriellen Krankheitserregern bekannt. (Molecular Cell, 2019; doi: 10.1016/j.molcel.2019.01.028)

Quelle: EMBL/ CNRS

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