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Medizin

Schlafmittel können Alzheimer fördern

Eine längere Einnahme von Benzodiazepinen verdoppelt das Demenzrisiko bei älteren Menschen

Benzodiazepine erhöhen das Alzheimer-Risiko - wenn sie länger als drei Monate eingenommen werden © freeimages

Fatale Nachwirkung: Wenn ältere Menschen länger als drei Monate Benzodiazepine einnehmen, erhöht dies ihr Alzheimer-Risiko erheblich – um rund 50 Prozent. Das berichten Forscher im „British Medical Journal“. Je länger die Einnahmedauer und Dosierung, desto mehr verstärkte sich bei den Teilnehmern ihrer Studie das Risiko. Die Wissenschaftler appellieren daher an Ärzte, diese Schlaf- und Beruhigungsmittel nur in niedrigen Dosierungen und für kurze Zeit zu verschreiben.

Benzodiazepine werden hauptsächlich als Beruhigungsmittel bei Angstzuständen, Depressionen oder gegen Schlafstörungen verschrieben. Besonders häufig geschieht dies bei älteren Menschen: „In den Industrieländern ist die Verschreibungsrate unter älteren Menschen durchgehend hoch, sie liegt zwischen 7 und 43 Prozent“, erklären Sophie Billioti de Gage von der Universität Bordeaux und ihre Kollegen.

Die meisten Älteren nehmen diese Mittel zudem über lange Zeiträume ein, „chronisch“, wie die Forscher es nennen. Und das, obwohl internationale Richtlinien genau davor warnen und wegen des Suchtpotenzials nur eine Einnahme über maximal vier Wochen empfehlen. Hinzu kommt: Frühere Studien haben bereits belegt, dass diese Mittel eine negative Wirkung auf das Gedächtnis haben. Sie tragen dazu bei, dass sich Patienten kaum an Vorkommnisse erinnern können, die sich während der Wirkungsdauer dieser Medikamente ereigneten.

Langzeitfolgen für das Gedächtnis untersucht

„Während diese akuten Effekte der Benzodiazepine gut dokumentiert sind, ist die Frage, ob sie auch das Risiko für Demenzen erhöhen, bisher strittig“, so die Forscher. Um dies zu klären, werteten de Gage und ihre Kollegen die medizinischen Daten von insgesamt rund 120.000 Senioren im kanadischen Quebec aus, die im Rahmen eines staatlichen Gesundheitsprogramms über neun Jahre hinweg gesammelt wurden.

Sie verglichen dabei, ob Teilnehmer, die Benzodiazepine eingenommen hatten, häufiger an Alzheimer erkrankten als jene, die dies nicht taten. Dabei unterschieden sie sowohl Einnahmedauer, als auch Dosierung und ob es sich um langwirkende oder kurzwirkende Präparate gehandelt hatte. Um sicherzugehen, dass die Arzneimittel nicht deshalb verschrieben wurden, um bereits erste Symptome der Demenz zu behandeln, betrachteten die Forscher nur die Medikamenteneinnahmen, die mehr als fünf Jahre vor der Alzheimer-Diagnose stattfanden.

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Je länger die Einnahme, desto höher das Risiko

Das Ergebnis: Unter den 1.796 Teilnehmern, die während der Studie an Alzehimer erkrankten, waren überproportional viele vertreten, die mehr als drei Monate lang Benzodiazepine eingenommen hatten. „Das Risiko für Alzheimer war bei ihnen um 43 bis 51 Prozent erhöht“, so die Forscher.

Dabei stieg das Risiko mit der Dauer der Nutzung und lag besonders bei lang wirkenden Benzodiazepinen hoch. Vergleichsuntersuchungen zeigten zudem, dass dieser Zusammenhang auch dann erhalten blieb, wenn andere, möglicherweise Demenzen fördernde Gesundheitsfaktoren miteinbezogen wurden.

Wie die Forscher betonen, können Studien dieser Art einen direkten ursächlichen Zusammenhang nicht beweisen. Ihrer Ansicht legen die Ergebnisse – und vor allem der dosisabhängige Effekt – diesen aber sehr nahe. So könnte es sein, dass die Benzodiazepine die sogenannte geistige Reserve verringern – die Fähigkeit des Gehirns, Schäden und Defizite auszugleichen, indem es auch andere Schaltkreise ausweicht.

Verschreibungspraxis ändern

„Unser Studie verstärkt den Verdacht , dass Nutzer von Benzodiazepinen ein höheres Risiko für Alzheimer haben“, so de Gage und ihre Kollegen. „Die Ergebnisse sind daher von großer Bedeutung für die öffentliche Gesundheit.“ Nach Ansicht der Forscher muss der Umgang und die Verschreibungspraxis dieser Medikamente überprüft und neu bewertet werden. Sie raten ausdrücklich dazu, Benzodiazepine nur kurzfristig einzunehmen und keinesfalls länger als drei Monate.

Allerdings: Oft sind es die Patienten selbst, die diese Mittel von ihren Ärzten einfordern, wie Kristine Yaffe von der University of California in San Francisco in einem begleitenden Kommentar schreibt. So stehen Benzodiazepine seit 2012 in den USA auf der Liste der für ältere Menschen nicht zu empfehlenden Arzneimittel – dennoch nehmen fast 50 Prozent der Senioren diese Mittel weiterhin ein. (BMJ – British Medical Journal, 2014; doi: 10.1136.bmj.g5205)

(BMJ, 11.09.2014 – NPO)

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