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Medizin

Mögliche Ursache für plötzlichen Kindstod gefunden

Anomalie an einem Serotoninrezeptor im Hirnstamm könnte Atemversagen bei Säuglingen begünstigen

Säugling
Säuglinge sollten auf dem Rücken schlafen, um das Risiko für einen plötzlichen Kindstod zu verringern. © Kieferpix/ Getty images

Wissenschaftler könnten eine biologische Ursache für den plötzlichen Kindstod gefunden haben – einem bisher unerklärten Sterben mancher Säuglinge im ersten Lebensjahr. Wie sie feststellten, weisen viele dieser Kinder eine Anomalie bei einem Serotonin-Rezeptor im Hirnstamm auf. Diese Andockstelle gilt als wichtiger Teil der Atemkontrolle und einer Notfallreaktion, die nächtlichen Sauerstoffmangel und Ersticken verhindern soll. Neben Risikofaktoren wie einer Bauchlage der Säuglinge könnte diese Anomalie den Kindstod begünstigen.

Der plötzliche Kindstod trifft Säuglinge unter einem Jahr scheinbar wie aus dem Nichts: Die Kinder sterben im Schlaf, ohne dass zuvor eine Krankheit oder ein anderer erkennbarer Grund vorlag. In Deutschland sind rund 100 Kinder pro Jahr betroffen, früher waren es rund 1.000. Welche Ursache das Kindstodssyndrom hat, ist unklar. Allerdings weiß man inzwischen, dass die Position der Säuglinge im Bettchen eine wichtige Rolle spielen kann: Liegt es beim Schlafen auf dem Bauch, erhöht dies das Risiko.

Spurensuche im Hirnstamm

Studien legen zudem nahe, dass der plötzliche Kindstod mit einem Versagen der Atemkontrolle zusammenhängen könnte: Bekommt ein schlafender Mensch zu wenig Sauerstoff, wird normalerweise ein „Notfallmechanismus“ im Hirnstamm aktiv. Dieser löst besonders tiefe Atemzüge aus und weckt den Schlafenden auf. Warum dieser „Alarm“ jedoch bei einigen Säuglingen offenbar ausfällt und sie dadurch im Schlaf ersticken, ist unklar. Es gibt jedoch erste Hinweise darauf, dass bei den betroffenen Kindern ein Mangel des Hormons Serotonin im Hirnstamm vorliegt.

Eine neue Spur könnten nun Robin Hayes von der Harvard Medical School in Boston und seine Kollegen entdeckt haben. Für ihre Studie hatten sie Hirnstamm-Gewebeproben von 70 Kindern analysiert, die in der Umgebung der kalifornischen Stadt San Diego am plötzlichem Hirntod gestorben waren. Als Vergleichsmaterial dienten Proben von Säuglingen mit anderen Todesursachen. Die Forschenden suchten nach Anomalien bei den Zellen und deren Andockstellen, die das Aussetzen der Atemkontrolle erklären könnten.

Anomalie in einer Serotonin-Andockstelle

Tatsächlich wurden sie fündig: Im Vergleich zu den Kontrollproben zeigten sich bei den Kindstod-Opfern subtile Veränderungen in einem speziellen Serotonin-Rezeptor. Diese als 5-HT2A/C bezeichnete Andockstelle wies bei 58 der 70 Kindstod-Opfer Anomalien auf, in der Vergleichsgruppe trat dies dagegen nur in zwölf Fällen auf. Durch diese Veränderungen kann das Serotonin nur noch in verringertem Maße gebunden werden, wie Hayes und sein Team erklären.

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Nach Ansicht des Forschungsteams könnte diese Rezeptor-Anomalie mit ein Grund dafür sei, dass die Atemkontrolle bei manchen Säuglingen versagt. „Bei Nagetieren trägt die Aktivierung des 5-HT2A/C-Rezeptors zum Wachwerden und zur Atemkontrolle bei und dies schützt das Gehirn vor Sauerstoffmangel im Schlaf“, erklären die Wissenschaftler. Wenn der Rezeptor nicht korrekt ausgebildet ist, könnte dies diesen Schutzmechanismus schwächen oder sogar ausfallen lassen.

Drei Auslöse-Faktoren für den Kindstod

Demnach könnte der plötzliche Kindstod auf eine Kombination von drei Faktoren zurückgehen, wie das Team erklärt. Der erste: Säuglinge durchlaufen in ihrem ersten Lebensjahr eine kritische Phase ihrer kardiorespiratorischen Entwicklung, das System der Atemkontrolle reift in dieser Phase erst heran. Der zweite Faktor sind äußere Einflüsse wie beispielsweise das Schlafen in Bauchlage, die eine ungenügende Blut- und Sauerstoffversorgung verursachen können. Der dritte Faktor ist die neuentdeckte biologische Anomalie im Hirnstamm, die die Atemkontrolle und den „Alarmmechanismus“ hemmt.

Wie genau die Rezeptoranomalie mit der Atemkontrolle bei den Säuglingen verknüpft ist und ob sie tatsächlich zum Auslöser für den plötzlichen Kindstod werden kann, müssen nun weitere Studien klären. Erschwerend dabei wird sein, dass die subtilen Anomalien der Serotonin-Andockstellen im Hirnstamm bisher nur in Gewebeproben erkennbar sind. „Im Moment haben wir noch keine Möglichkeit, Kinder mit solchen biologischen Anomalien im Serotoninsystem zu erkennen“, sagt Hayes.

Vorbeugen ist entscheidend

Umso wichtiger sei es daher für Eltern, die Empfehlungen zur Schlafposition und der Bettenausstattung für Säuglinge zu befolgen, betont das Team. Dazu gehört, die Babys in Rückenlage schlafen zu lassen und Bauch- oder Seitenlage zu vermeiden. Außerdem sollten im Kopfbereich des Kindes keine Kissen, Felle oder Kuscheltiere liegen. Auch ein Schlafsack statt einer Decke gilt als mögliche Schutzmaßnahme. (Journal of Neuropathology & Experimental Neurology, 2023; doi: 10.1093/jnen/nlad030)

Quelle: Oxford University Press USA

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