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Astronomie

Überraschung im Zentrum der Milchstraße

Ionisierte Gase belegen erstmals Zugehörigkeit unserer Galaxie zu den LINER-Galaxien

Milchstraße
Im Zentrum der Milchstraße liegt eine geneigte Scheibe aus ionisiertem Wasserstoffgas. Ihre Merkmale entsprechen denen der sogenannte LINER-Galaxien. © Embry-Riddle Aeronautical University

Typwechsel unserer Galaxie: Astronomen haben im Zentrum der Milchstraße eine Entdeckung gemacht, die diese einer ganz neuen Klasse von Galaxien zuordnen könnte. Diese sogenannten LINER-Galaxien gelten als Übergangsform zwischen inaktiven und aktiven Galaxienkernen. Kennzeichen der LINER ist ein Überschuss schwach ionisierter Gase – und genau das haben die Forscher nun auch im Innenbereich der Milchstraße entdeckt, wie sie im Fachmagazin „Science Advances“ berichten.

Rund ein Drittel der Galaxien in unserer kosmischen Nachbarschaft sind sogenannte LINER-Galaxien – kurz für „Low-Ionization Nuclear Emission-Line Region“. Auch unsere Nachbargalaxie Andromeda gehört dazu. Kennzeichen dieser LINER ist ein besonders hoher Anteil schwach ionisierter Gase in der zentralen Region. Wegen ihrer intensiven Strahlung in einigen Spektralbereichen galt dieser Galaxientyp bislang als Übergangsform zwischen aktiven Galaxienkernen wie den Quasaren und eher ruhigen, inaktiven Galaxien. Sogar einen abrupten Wechsel von LINER-Galaxien zu Quasaren haben Astronomen schon beobachtet.

Rätsel um den „Motor“ der LINER

Doch was macht diese Galaxien zu LINERn? Und wo liegt die Ursache ihrer ionisierten Gasströme? Bislang gibt es darauf keine eindeutige Antwort. Klar scheint nur, dass es im Zentrum dieser Galaxien einen Prozess geben muss, der immer wieder aufs neue Gase ionisiert. „Denn ohne eine anhaltende Energiezufuhr rekombinieren sich die Ionen und freien Elektronen schnell wieder und kehren zum neutralen Zustand zurück“, erklärt Seniorautor Matthew Haffner von der University of Wisconsin in Madison.

Was aber für diese Energiezufuhr in den LINER-Galaxien sorgt, war bislang strittig. Einige Astronomen sehen eine besonders starke Sternbildung in den Galaxienzentren als Triebkraft für die auffälligen Ionisationssignale. Andere dagegen schreiben dies der Aktivität der supermassereichen Schwarzen Löcher in den Galaxienzentren zu – was zu ihrer Einstufung als Zwischenstufe zwischen inaktiven und aktiven Galaxien passen würde.

LINER-Signal im Herzen der Milchstraße

Jetzt wirft eine Entdeckung im Herzen der Milchstraße ein ganz neues Licht auf diese Debatte. Denn erstmals haben Haffner, sein Kollege Dhanesh Krishnarao und ihr Team auch im Herzen der Milchstraße das verräterische LINER-Signal nachgewiesen. Für ihre Studie hatten die Astronomen 20 Jahre an Daten des Wisconsin H-Alpha Mapper (WHAM) ausgewertet. Dieses Teleskop ist darauf spezialisiert, bestimmte Bereiche des optischen Lichtspektrums aus dem Herzen der Milchstraße einzufangen.

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LINER-Signal
Milchstraßenzentrum mit Markierung der Zone mit erhöhtem Anteil von ionisiertem Wasserstoff. © Axel Mellinger

Es zeigte sich Erstaunliches: Auch im inneren Bereich der Milchstraße existiert ein Überschuss an schwach ionisierten Gasen. Diese bilden eine um rund fünf Grad gegen die Galaxienebene geneigte Scheibe, in der mehr als 50 Prozent der atomaren Gase ionisiert sind. „Die optischen Linienverhältnisse dieser Gase unterscheiden sich von allen anderen in der Milchstraße“, berichten Krishnarao und seine Kollegen. „Aber sie sind typisch für die Emission von LINER-Galaxien.“

Ist die Milchstraße eine LINER-Galaxie?

Das aber bedeutet: Auch unsere Milchstraße scheint eine LINER-Galaxie zu sein. „Vor dieser Entdeckung war die Millionen Lichtjahre entfernte Andromeda-Galaxie der uns nächste LINER“, sagt Haffner. Jetzt jedoch zeigt sich, dass der nächste LINER-Kern einer Galaxie nur rund 25.000 Lichtjahre von uns entfernt liegt – im Herzen unserer galaktischen Heimat. „Damit können wir dieses Phänomen nun erstmals genauer erforschen“, so Haffner.

Für die Astronomen ist diese Entdeckung nur bedingt eine Überraschung: „Angesichts der Tatsache, dass LINER-Gase besonders häufig bei Galaxien mit Balken vorkommen, hätte man vermuten können, dass auch die innere Milchstraße dieses Merkmal aufweist“, sagen die Forscher. „Unsere Beobachtungen bestätigen nun diesen Verdacht – und sie geben uns ganz neue Chancen, die Natur des Ionisations-Mechanismus und die Energiezufuhr aufzuklären.“

Wo das ionisierte Gas im Milchstraßenzentrum liegt und was es bedeutet.© Embry-Riddle Aeronautical University

Zu weit außen für Sternbildung als Triebkraft?

Eine interessante Auffälligkeit gibt es bereits: Direkt im Zentrum der Milchstraße ähnelt die Spektralsignatur des ionisierten Gases dem, was man für Gas in Sternbildungsregionen erwarten würde. Dort ist die intensive Strahlung junger Sterne die Energiequelle für die Ionisation. „Aber je weiter man vom galaktischen Zentrum weggeht, desto mehr verändert sich das ionisierte Gas. Es wird den Gasströmen der LINER-Galaxien immer ähnlicher“, berichtet Krishnarao.

Nach Ansicht der Forscher weckt dies Zweifel daran, dass die Sternbildung allein die LINER-Emission erklären kann. Stattdessen könnten andere Faktoren, darunter auch ein Einstrom heißer Gase aus den beiden Fermi-Blasen, dafür verantwortlich sein. Dabei handelt es sich um zwei gewaltige Blasen heißer Gase und intensiver Gammastrahlung, die beiderseits aus dem Milchstraßen-Zentrum herausragen. Astronomen vermuten, dass sie durch einen vergangenen Ausbruch des zentralen Schwarzen Lochs entstanden sind.

Doch bisher ist dies nur eine Spekulation. Wie die ionisierten Gase der Milchstraße und anderer LINER-Galaxien tatsächlich zustandekommen, müssen künftige Beobachtungen zeigen. Die Tatsache, dass auch unsere Heimatgalaxie zu dieser rätselhaften Galaxienklasse gehört, könnte die Lösung dieses Rätsels aber entscheidend erleichtern. (Science Advances, 2020; doi: 10.1126/sciadv.aay9711)

Quelle: Embry-Riddle Aeronautical University

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