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Astronomie

Milchstraßen-Zwillinge schon im frühen Kosmos

Webb-Teleskop findet überraschenden Überschuss an frühen Scheibengalaxien

Spiralgalaxie
Scheibengalaxien wie diese Spiralgalaxie oder unsere Milchstraße entstanden im Kosmos deutlich früher als bisher gedacht.© alex-mit/ Getty images

Frühe Dominanz: Schon rund eine Milliarde Jahre nach dem Urknall gab es überraschend viele Milchstraßen-ähnliche Scheibengalaxien im Kosmos – sie machten schon damals 40 bis 60 Prozent der sternenreichen Galaxien aus, wie nun Daten des James-Webb-Teleskops belegen. Dies widerspricht gängigen Modellen, nach denen damals zunächst elliptische und unregelmäßige Galaxien vorherrschten, bevor sich dann viel später auch reifere Spiralgalaxien bildeten. Bisherige Annahmen zur Galaxienentwicklung müssen nun revidiert werden, so die Astronomen.

Schon im Jahr 1926 stellte der Astronom Edwin Hubble einen ersten „Stammbaum“ der Galaxien zusammen. Demzufolge entwickelten sich die Spiralgalaxien und Balkenspiralen des heutigen Kosmos aus frühen Vorstufen, die noch unregelmäßig oder elliptisch geformt waren und die noch keine ausgeprägte Sternenscheibe besaßen. Erst einige Milliarden Jahre später entstanden dann aus diesen Vorstufen die ersten Galaxien mit strukturierter Sternenscheibe – die Linsen- und Spiralgalaxien oder die Balkenspiralen.

Galaxienentwicklung
Dem Hubble-Schema nach bildeten sich erst unregelmäßige und elliptische Galaxien, aus denen sich dann Scheibengalaxien wie Spiralgalaxien und Balkenspiralen entwickelten. © Cosmogoblin/ gemeinfrei

Blick zurück ins frühe Universum

„Gängiger Annahme nach waren solche Scheibengalaxien wegen der vielen heftigen Kollisionen im frühen Universum noch selten“, erklärt Erstautor Leonardo Ferreira von der University of Victoria in Kanada. Dazu schien zu passen, das auch das Hubble-Weltraumteleskop in seinen Deep-Field-Aufnahmen unter den entferntesten Galaxien vorwiegend unregelmäßige Exemplare zeigte. Erst rund sechs Milliarden Jahre nach dem Urknall – so legten diese Aufnahmen nahe – begannen dann sich dann auch Scheibengalaxien zu entwickeln.

Allerdings: Das Hubble-Teleskop verfügt nur über begrenzte Sensitivität im roten und infraroten Bereich, seine Optiken sind primär für sichtbares und ultraviolettes Licht ausgelegt. Dadurch kann das Teleskop das stark in den roten Bereich verschobene Licht sehr ferner Galaxien nicht detektieren. Das ist mit dem James-Web-Teleskop anders: „Die höhere Auflösung und der längerwelligere Aufnahmebereich ermöglichen es ihm, die Struktur ferner Galaxien besser zu erfassen“, erklären Ferreira und seine Kollegen.

Für ihre Studie haben sie Webb-Aufnahmen von 3.956 Galaxien mit einer Rotverschiebung von z=1,5 bis z=6 ausgewertet. Diese Galaxien existierten demnach zwischen einer und 4,2 Milliarden Jahre nach dem Urknall. Für jede Galaxie ermittelten die Astronomen anhand der Aufnahmen ihre Form und geschätzte Sternenmasse.

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Frühe Galaxien
Diese Aufnahmen des James-Webb-Teleskops zeigen frühe Galaxien in verschiedenen Infrarot-Wellenlängen (Spalten). Bei den meisten von ihnen ist schon eine strukturierte Sternenscheibe mit

Scheibengalaxien in der Überzahl

Das überraschende Ergebnis: Selbst in dieser frühen Ära des Kosmos waren die Scheibengalaxien schon häufiger als jeder andere Galaxientyp. Die galaktische Volkszählung ergab, dass von den knapp 4.000 untersuchten Galaxien rund 42 Prozent schon voll ausgebildete Linsen- oder Spiralgalaxien ähnlich der heutigen Milchstraße waren. 14 Prozent waren einfache Sphäroide und 27 Prozent unregelmäßige Galaxien. Scheibengalaxien waren damit im frühen Kosmos fast zehnmal häufiger als bisher gedacht.

Besonders ausgeprägt war diese Dominanz bei den größeren Galaxien mit großer Sternenzahl und mehr als einer Milliarde Sonnenmassen, wie die Astronomen berichten. Bei diesen Galaxien blieb die Überzahl der Scheiben- und Spiralform mit 40 bis 60 Prozent sogar bis in die früheste Ära nahezu gleich. Selbst eine Milliarde Jahre nach dem Urknall dominierte dieser Galaxientyp demnach schon. Bei den kleineren, sternenärmeren Galaxien waren die Linsen- und Spiralgalaxien zwar auch am häufigsten vertreten, ihr Anteil nahm aber in dieser Größenklasse nur allmählich zu.

Bisherige Vorstellungen widerlegt

Demnach existieren Milchstraßen-ähnliche Galaxien schon deutlich länger als es frühere Beobachtungen nahelegten. „Die Tatsache, dass das Webb-Teleskop so viele Scheibengalaxien im frühen Universum gefunden hat, legt nahe, dass sich die Strukturen der heutigen Galaxien zu einem deutlich früheren Zeitpunkt ausgebildet haben müssen als gedacht“, sagt Ferreira. Schon damals wurden offenbar die meisten Sterne als Teil einer Scheibengalaxie gebildet – ähnlich wie heute auch.

Nach Ansicht der Astronomen werfen diese Erkenntnisse ein neues Licht auf die zeitlichen Abläufe der Galaxienentwicklung. „Basierend auf unseren Ergebnisse müssen wir Astronomen unsere Vorstellungen zur Bildung der ersten Galaxien und ihrer Entwicklung im Laufe der letzten zehn Milliarden Jahre noch einmal neu überdenken“, sagt Koautor Christopher Conselice von der University of Manchester. „Denn die Webb-Aufnahmen verschieben die Zeit, in der diese Milchstraßen-ähnlichen Galaxien entstanden, fast bis zum Anfang des Universums zurück.“

Frühe Galaxien trotzten den Kollisionen

Doch wie ist diese überraschend frühe Dominanz der fortgeschritteneren Galaxienformen zu erklären? Nach Angaben von Ferreira und seine Kollegen legt dies zum einen nahe, dass sich die vermeintlich modernen Strukturen im frühen Universum schneller ausbildeten als erwartet. Zum anderen wirkten sich die vielen frühen Kollisionen und Verschmelzungen offenbar weniger störend auf die Galaxienstruktur aus als bisher angenommen.

Gerade die größeren Galaxien könnten solche Karambolagen demnach entweder weitgehend unbeschadet überstanden haben oder sich sehr schnell erholt haben. Statt zu einer unregelmäßigen Galaxie zu werden, entwickelten sie sich als Scheibengalaxie weiter. „Das wirft auch Fragen über die Rolle der Dunklen Materie im frühen Universum auf, über die wir bisher nur wenig wissen“, sagt Conselice. (The Astrophysical Journal, 2023; doi: 10.3847/1538-4357/acec76)

Quelle: University of Manchester

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