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Biologie

Tintenfische nutzten elektrische Tarnung

Raffinierter Verhaltenstrick macht die Kopffüßer für den Elektrosinn der Haie unsichtbar

Der Gewöhnliche Tintenfisch (Sepia officinalis) ist beim Tarnen noch raffinierter als gedacht © Amada44/CC-by-sa 3.0

Elektrische Tarnung: Tintenfische sind nicht nur Meister der Farbanpassung, sie können sich auch elektrisch unsichtbar machen. Nähert sich ein Feind, erstarren sie, halten ihren Atem an und umschlingen sich selbst mit ihren Armen. Dadurch sinkt das normalerweise von ihnen ausgehende elektrische Feld fast bis auf Null ab, wie Forscher herausgefunden haben. Selbst für die feinen Sinne der Haie sind die Tintenfische damit perfekt getarnt.

Tintenfische sind trotz ihrer vielen Arme nicht gerade wehrhaft. Um Fressfeinden wie Haien zu entgegen, müssen sie sich daher auf ihre Intelligenz und ihre ausgeklügelten Tarn-Fähigkeiten verlassen. Spezielle Zellen in ihrer Haut sorgen dafür, dass sie sich perfekt den Untergrund und andere Tiere imitieren können. Einige Männchen nutzen sogar eine halbseitige Imitation eines Weibchens, um Rivalen zu täuschen.

Doch die beste visuelle Tarnung hilft nichts gegen einen der Hauptfeinde der Tintenfische, den Hai. Denn dieser spürt seine Beute mit Hilfe der schwachen elektrischen Felder auf, die diese durch ihre Atmung und feinste Bewegungen im umgebenden Wasser erzeugen. Wie die Tintenfische dieser Bedrohung entgehen, haben Christine Bedore von der Duke University in Durham und ihre Kollegen nun untersucht.

„Einfrieren“ beim Hai-Video

Für ihr Experiment setzten die Biologen einige Exemplare des Gewöhnlichen Tintenfisches (Sepia officinalis) einzeln in Meerwassertanks und spielten ihnen ein Video eines herannahenden Haies vor. Als stark visuell orientierte Tiere erkennen die Kopffüßer die Bedrohung auch auf einem solchen Film. Die Forscher beobachteten die Reaktion des Tintenfischs und maßen gleichzeitig das elektrische Feld in seiner unmittelbaren Umgebung.

Tintenfisch in eingefrorener Tarnhaltung und das dabei von ihm erzeugte elektrische Feld. © Bedore et al./ Duke University

Das Ergebnis: Sobald der Tintenfisch den Hai erblickte, „fror“ er ein: Er presste sich flach gegen den Boden des Tanks, senkte seine Atemfrequenz auf ein Minimum und legte seine Arme über die Öffnungen von Siphon und Mantelhöhle. In dieser Pose verharrte der Kopffüßer solange, bis der Hai verschwand. Diese Reaktion zeigten 80 Prozent der Tintenfische beim Anblick des Hais oder eines größeren Fischs, wie die Forscher berichten. Wurde jedoch nur ein harmloser Krebs gezeigt, blieb die „Einfrier“-Reaktion aus.

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Tarnung auch im elektrischen Sinne

Als die Forscher die Messungen des bioelektrischen Feldes auswerteten, zeigte sich Interessantes: Normalerweise erzeugten die Tintenfische selbst in Ruhe ein elektrisches Potenzial von 10 bis 30 Mikrovolt. Das ist zwar rund 75.000 Mal weniger als die Spannung einer AAA-Batterie, für den Hai aber ist selbst dieses schwache Feld noch gut wahrnehmbar. Denn dank hochsensibler Sensoren rund um seine Schnauze können viele Haiarten solche Felder noch in Dutzenden Zentimetern Entfernung orten.

Doch wenn der Tintenfisch seine Tarnhaltung einnahm, reduzierte sich dieses verräterische Feld deutlich: Es sank auf durchschnittlich nur noch sechs Mikrovolt ab. Bei einigen Tintenfischen reduzierte sich das Feld sogar um 89 Prozent. „Das ist ein bisher unbekannter Tarnmechanismus für Sepia officinalis“, sagen Bedore und ihre Kollegen. „Durch die Einfrier-Reaktion bei Wahrnehmung eines Prädator verringert der Tintenfisch die bioelektrischen Reize, die ihn verraten könnten.“

Funktioniert als Haischutz

Aber reicht dies aus, um einen Hai vom Angriff abzuhalten? Dies testeten die Biologen mit Schwarzspitzenhaien (Carcharhinus limbatus) und Hammerhaien (Sphyrna tiburo), denen sie jeweils ein elektrisches Feld mit 30 oder mit sechs Mikrovolt vorspielten. Und tatsächlich: Während die Haie beim stärkeren Feld den Elektroköder in zwei Dritteln der Tests angriffen, sank die Bisszahl beim schwächeren Feld eines „eingefrorenen“ Tintenfischs auf nur noch 30 Prozent.

Demnach bewahrt diese elektrische Tarn-Strategie den Tintenfisch wahrscheinlich in vielen Fällen vor den Gefressenwerden, so das Fazit der Forscher. Sollte das Einfrieren aber ausnahmsweise nichts helfen, bleibt den Kopffüßern noch ihr Fluchttrick: Sie schießen plötzlich davon und stoßen dabei eine Wolke dunkler Tinte aus. „Dieser Tintenstoß ist aber nur eine Methode der letzten Wahl“, sagt Bedore. Denn viele Haie lassen sich davon nicht abschrecken und scheinen den Geschmack der Tinte sogar zu mögen, wie Tests ergaben. (Proceedings of the Royal Society B, Biological Sciences, 2015; doi: 10.1098/rspb.2015.1886)

(Duke University/ Royal Society, 03.12.2015 – NPO)

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