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Neurobiologie

Stechmücken riechen redundant

Moskitos finden uns, indem sie eine fundamentale Regel der Riech-Physiologie brechen

Stechmücke
Stechmücken riechen uns mithilfe von Chemorezeptoren auf ihren Antennen. Ihr Riechsystem ist jedoch überraschend anders als bisher für Insekten angenommen. © rusm/ Getty images

Wider die Theorie: Das Riechsystem der Mücken unterscheidet sich in überraschender Weise vom bisher als allgemeingültig angesehenen Schema. Denn ihre Riechsinneszellen tragen nicht nur jeweils eine Rezeptorsorte, sondern mehrere verschiedene. Jede Riechzelle kann dadurch mehrere Duftstoffe auf einmal wahrnehmen. Das erklärt, warum die Moskitos mehr als hundert verschiedene Komponenten unseres Körpergeruchs detektieren und nur schwer vom Blutsaugen abzubringen sind.

Stechmücken sind perfekt an ihre blutsaugende Lebensweise angepasst. Ihr Stechrüssel durchdringt problemlos unsere Haut und spezielle Speichel-Zutaten halten das Blut beim Saugen flüssig und betäuben die Stichstelle. Die Sinne der Moskitos sind zudem besonders daran angepasst, ihre Hauptwirte auszuspüren – uns Menschen. Sie können uns sprechen hören und riechen das von uns ausgeatmete Kohlendioxid. Auch mehrere Duftstoffe aus unserem Schweiß und Körpergeruch ziehen die Mücken an.

Mückenantenne
Teil einer Mückenantenne mit fluoreszenzmarkierten Riechsinneszellen. © Margo Herre

Was riecht die Stechmücke – und wie?

Das Erstaunliche dabei: Die Mücken sind so perfekt auf unsere Duftstoffe geeicht, dass selbst ein gentechnisches Ausschalten ihrer CO2-Sensoren sie nicht aufhält – sie orientieren sich dann an den organischen Duftbestandteilen. Doch auch deren Rezeptoren sind nicht so einfach zu blockieren: „Selbst Moskitos, denen eine ganze Familie von Chemorezeptoren fehlt, können noch immer Menschen finden und stechen“, erklären Margaret Herre von der Rockefeller University in New York und ihre Kollegen.

Aber warum? Um das herauszufinden, haben Herre und ihr Team das Riechsystem der Stechmücke Aedes aegypti und seine Verschaltung von Rezeptoren, Riechsinneszellen und Riechkolben genauer untersucht. Dafür nutzten sie unter anderem Fluoreszenzmarker und verschiedene Analysen der Genaktivität, um diese Zusammenhänge aufzuklären.

Verblüffend viele Rezeptoren

Das überraschende Ergebnis: „Moskitos brechen alle unsere Regeln darüber, wie Tiere Dinge riechen“, berichtet Herre. Denn nach gängiger Theorie ist jede Riechzelle immer nur für einen Duftstoff sensibel, sie trägt nur eine Art von Rezeptoren auf ihrer Oberfläche. Jede Riechzelle ist zudem nur mit einem Glomerulus im Riechhirn verbunden. „Diese Organisation gilt als ein im Tierreich weit verbreitetes System“, erklären die Forschenden. Alle Wirbeltiere haben es und auch bei Insekten schien es bisher zu gelten.

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Nicht so bei der Stechmücke: Die Analysen enthüllten, dass ihre Riechsinneszellen mehrere verschiedene Rezeptoren aufweisen. So feuerten einzelne Riechzellen in den Antennen der Mücken sowohl beim menschlichen Duftstoff 1-Octen-3-ol als auch bei verschiedenen Aminen, die ebenfalls typische Komponenten unseres Körpergeruchs sind, sich aber in ihrer chemischen Struktur deutlich vom Octenol unterscheiden.

Widerspruch zur gängigen Regel

Damit widerspricht das Riechsystem der Mücke dem Paradigma von nur einer Rezeptorsorte pro Neuron, wie Herre und ihre Kollegen konstatieren. Stattdessen können die Riechzellen der Stechmücke mit einer ganz unterschiedlichen Zahl von Duftstoff-Detektoren verschaltet sein. Das erklärt auch, warum die chemische „Nase“ der Stechmücke Aedes aegypti mindestens doppelt so viele Rezeptorsorten wie Glomeruli besitzt.

„Das olfaktorische System von Aedes aegypti ist in dieser Hinsicht extrem unkonventionell“, erklären die Forschenden. Gleichzeitig könnte dies aber ein weiteres Indiz dafür sein, dass nicht alle Insekten dem bisher geltenden Paradigma der Riechsystem-Organisation entsprechen. Erst vor kurzem hat ein andere Forschungsteam bei der Fruchtfliege Drosophila ebenfalls Hinweise auf mehrere Rezeptoren pro Riechneuron entdeckt. Ob dies absolute Ausnahmen sind oder nicht, muss aber noch geklärt werden.

Redundantes System für die Wirtsfindung

Klar scheint hingegen, wo der Vorteil für die Stechmücke liegt: Sie kann so ohne größere Kosten unzählige verschiedene Sensoren für die vielen Komponenten unseres Körpergeruchs ausbilden. Das ermöglicht es ihr, mehr als hundert verschiedene typisch menschliche Duftstoffe zu riechen und selbst individuelle Varianten noch wahrzunehmen. Das erklärt auch, warum Mücken-Repellents oder einzelne gentechnische Rezeptorblockaden oft nur begrenzt wirken: Die Mücke riecht uns dann einfach anhand der anderen Duftsignale.

Das chemische Wirtsfindungssystem der Stechmücke ist damit mehrfach redundant ausgelegt. „Das ist ein wirklich guter Trick: Moskitos haben nicht nur einen Plan B, sondern unzählige davon“, sagt Koautorin Leslie Vosshall vom Howard Hughes Medical Institute in New York. „Mir erscheint dieses System nahezu unknackbar.“ (Cell, 2022; doi: 10.1016/j.cell.2022.07.024)

Quelle: Cell Press

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