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Neurobiologie

Schlaf: Bewusstslos durch Umorganisation?

Forscher entschlüsseln, warum wir beim Einschlafen unser Bewusstsein verlieren

Netzwerk-Veränderungen über den Zeitraum von 26 Minuten. Die Ausdehnung des „Default Mode Netzwerkes“ (rot) und des gegenläufigen Netzwerkes (ACN, blau) in vier Stadien: A: Wachzustand, B: Schlafstadium 1, C: Schlafstadium 2, D: Tiefschlaf. Vor allem der mediale präfrontale Kortex [mPFC]) verliert seine Anbindung an das Netzwerk. Das Gegen-Netzwerk ist im Schlafstadium 1 schwächer, im Schlafstadium 2 dann nicht mehr nachweisbar. © MPI für Psychiatrie

Warum verlieren wir das Bewusstsein, wenn wir schlafen, obwohl unser Gehirn noch arbeitet? Auf diese Frage haben jetzt Wissenschaftler eine Antwort gefunden: Messungen beim Übergang in verschiedene Schlafphasen zeigten, dass Netzwerke unseres Gehirns im Schlaf systematisch umorganisiert werden. So werden Hippocampus und Fronallappen, für Gedächtnis und höhere Steuerungsprozesse verantwortlich, ausgekoppelt, Bereichek, die auf Außenreize reagieren, bleiben jedoch teilweise aktiv.

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Eben noch wach und bei vollem Bewusstsein und Sekunden später sind wir eingeschlafen. Äußerlich betrachtet ist der Schlaf für den Menschen ein passiver Vorgang. Doch für das Gehirn und den ganzen Organismus ist es lediglich ein Zustand mit veränderter Aktivität. Denn das Gehirn ist im Schlaf zwar weniger aktiv, stellt seine Aktivität jedoch nicht völlig ein. Aktive Nervenzellen stehen dabei organisatorisch in verschiedenen Netzwerken miteinander in Verbindung. Wissenschaftler können diese Netzwerke anhand langsamer, spontan auftretender Signalschwankungen mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomografie nachweisen.

Zwei Netzwerke im Gegentakt

Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München haben in einer Studie an 25 jungen gesunden Probanden untersucht, wie diese Änderungen der Wahrnehmung ausgelöst werden. Von den zahlreichen gleichzeitig aktiven Ruhenetzwerken des menschlichen Gehirns untersuchten die Max-Planck-Forscher das so genannte „Default Mode Netzwerk“ und ein im spontanen Zeitverlauf gegenläufiges Netzwerk.

Beide Netzwerke sind im Wachzustand eng aneinandergekoppelt und stehen für verschiedene Aufmerksamkeitsprozesse. Das „Default Mode Netzwerk“ unterstützt eher nach innen gerichtete Aufmerksamkeitsvorgänge, das gegenläufige Netzwerk eher die Verarbeitung von Außenreizen. Ohne zusätzliche Stimulation verhalten sie sich zeitlich gegenläufig – hohe Messsignale des einen Netzwerks treten meist während niedriger Signale des anderen Netzwerkes auf, und umgekehrt.

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Hippokampus und Frontallappen ausgekoppelt

Die Münchner Wissenschaftler entdeckten, dass sich beide Netzwerke während des Einschlafprozesses selbst verändern und auch unterschiedlich miteinander interagierten. Sie werden systematisch umorganisiert. So wird der Hippokampus, eine für Gedächtnisprozesse wichtige Region, bereits im leichten Schlaf aus dem Netzwerk ausgekoppelt. Der Frontallappen, wichtig für höhere Steuerungsprozesse, wird mit zunehmender Schlaftiefe sogar ganz aus dem Netzwerk ausgeschlossen.

Reduziert, jedoch bis in den Tiefschlaf nachweisbar, zeigten sich auch Areale im posterioren Cingulum und im Precuneus, einem Teil des parietalen Kortex. Diese Hirnregionen zählen zu den am dichtesten verknüpften Arealen im Gehirn. Sie stehen in Zusammenhang mit Wachheit und Bewusstsein, und können beispielsweise durch Medikamente in ihrer Aktivität beeinflusst werden. Diese Netzwerkänderungen in Hirnregionen, die mit selbstreflektorischem Verhalten, planendem Handeln und Selbstwahrnehmung assoziiert sind, könnten die Ursache für unseren Bewusstseinsverlust im Schlaf sein.

Rest-Aufmerksamkeit bleibt

Hingegen nehmen Verbindungen zum neuronalen Aufmerksamkeitsnetzwerk nur teilweise ab – möglicherweise, um auf alarmierende Außenreize noch reagieren zu können. Das Gegen-Netzwerk wird ab Schlafstadium 2 von seiner streng gegenläufigen Aktivität entkoppelt, bleibt jedoch über alle Schlafphasen vorhanden – ein wichtiger Hinweis darauf, dass vermutlich erst eine ausreichende Synchronisierung zwischen verschiedenen Netzwerken komplexere Funktionen ermöglicht. (Cerebral Cortex, 2011; doi: 10.1093/cercor/bhq295)

(Max-Planck-Gesellschaft, 23.02.2011 – NPO)

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