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Neurobiologie

Kleinhirn speichert Daten nach dem MP3-Prinzip

Cerebellum trennt ankommende Signale nach Frequenzen auf

Gehirn
Bestimmte Bereiche unseres Gehirns speichern Informationen wie MP3-Musikdateien. © metamorworks/ iStock.com

MP3-Dateien im Kopf: Unser Kleinhirn verarbeitet ankommende Informationen offenbar ähnlich wie vom MP3-Verfahren bekannt – es trennt die Signale nach Frequenzen auf. Bestimmte Nervenzellen sind dabei jeweils für elektrische Impulse mit spezifischen Wiederholungsraten zuständig, wie Forscher herausgefunden haben. Wie bei der Komprimierung der Audiodateien könnte dadurch die Speicherkapazität erhöht werden. Ob auch andere Hirnregionen dieses Prinzip nutzen, ist noch unklar.

Ob beim Sprechen, Gehen oder Tanzen: Unser Kleinhirn ist vor allem für die zeitliche Koordination von Bewegungsabläufen zuständig. Gleichzeitig spielt dieser oberhalb des Nackens liegende, stark gefurchte Teil des Gehirns aber auch für zahlreiche nicht-motorische Funktionen eine Rolle. Seine sogenannten Körnerzellen machen mehr als die Hälfte der Nervenzellen des gesamten menschlichen Denkorgans aus.

Blick auf die Körnerzellen

Die in der Fachsprache als Cerebellum bekannte Hirnregion wertet kontinuierlich Informationen von Sinnesorganen wie den Augen und Ohren aus. Sie erreichen das Kleinhirn in Form elektrischer Impulse, die sehr unterschiedliche Wiederholungsraten haben können – das Spektrum reicht dabei von einem bis zu 1.000 Impulsen pro Sekunde.

Bisher gingen Forscher davon aus, dass alle Körnerzellen des Kleinhirns eine einheitliche Nervenzell-Population darstellen und diese unterschiedlichen Signale daher alle auf die gleiche Art und Weise verarbeiten. Doch Isabell Straub von der Universität Leipzig und ihre Kollegen haben nun festgestellt, dass diese Annahme offenbar falsch war.

Nach Frequenzen gefiltert

Um mehr über die Arbeitsweise des Cerebellums zu erfahren, untersuchten die Wissenschaftler die elektrischen Eigenschaften der Körnerzellen von Mäusen. Das überraschende Ergebnis: Die auch Granularzellen genannten Einheiten sind keineswegs uniform. Stattdessen weisen sie unterschiedliche Eigenschaften auf und verarbeiten jeweils nur Signale mit ganz bestimmten Frequenzen.

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„Die Körnerzellen funktionieren ähnlich wie ein Sieb. Sie filtern spezifische Informationen nach ihren Frequenzen aus“, erklärt Straub. Was die Zellen herausfiltern, hängt dabei von ihrer Position im Kleinhirn ab, wie die Untersuchungen zeigten. Signale mit hoher Wiederholungsrate werden demnach von Körnerzellen in den tieferliegenden Cerebellum-Schichten registriert und weitergeleitet. Die Granularzellen in den äußeren Schichten reagieren dagegen bevorzugt auf Signale mit niedriger Frequenz.

Wie beim MP3-Verfahren

Das Spannende: Diese Fähigkeit des Kleinhirns, Signale auf Basis ihrer Frequenzen zu trennen, ähnelt einem aus der Technik bekannten Verfahren – der Komprimierung von Audiodateien ins MP3-Format. Für die Erstellung solcher Dateien werden mithilfe der sogenannten Fourier-Transformation Signale in ihre Frequenzanteile zerlegt. Auf diese Weise können zum Beispiel Frequenzen, die für das menschliche Gehör kaum wahrnehmbar sind, weggelassen werden.

Schlussendlich macht es dieses Verfahren möglich, Musikdateien mit stark reduzierter Datenmenge zu speichern – und zwar ohne wesentliche Einbußen bei der Audioqualität. Für das Kleinhirn ergeben sich dank dieses Prinzips offenbar ähnliche Vorteile: Computersimulationen legten nahe, dass Netzwerke mit unterschiedlichen Körnerzelltypen eine erhöhte Speicherkapazität aufweisen.

Auch in anderen Hirnregionen?

Nach Ansicht der Wissenschaftler verbessern die neuen Erkenntnisse das Verständnis darüber, wie unser Kleinhirn Informationen verarbeitet und speichert und unsere Handlungen koordiniert. In einem nächsten Schritt wollen sie untersuchen, ob auch andere Hirnregionen ankommende Impulse nach Frequenzen auftrennen – zum Beispiel der Hippocampus. In diesem Teil des Gehirns haben Forscher jüngst ebenfalls Unterschiede zwischen einzelnen Nervenzellen festgestellt. (eLife, 2020; doi: 10.7554/eLife.51771)

Quelle: Universität Leipzig

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