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Gentechnik

Erster Eukaryot mit halbsynthetischem Genom

Forschungsteam erzeugt Hefezellen mit siebeneinhalb künstlich im Labor hergestellten Chromosomen

Hefezelle
Diese knospende Hefezelle sieht völlig normal aus, sie ist aber halbsynthetisch: Die Hälfte ihres Genoms wurde im Labor erzeugt und zu künstlichen Chromosomen zusammengefügt. © Cell/ Zhao et al.

Designter Organismus: Forschende haben zum ersten Mal lebensfähige Hefezellen mit zur Hälfte künstlich hergestelltem Erbgut erzeugt. Es sind die ersten halbsynthetischen Zellen eines Eukaryoten. Die Hefezellen enthalten siebeneinhalb Chromosomen, die im Labor aus DNA-Bausteinen und Hüllstrukturen komplett neu zusammengefügt wurden. Die internationale Forschungskollaboration sieht dies als wichtigen Meilenstein auf dem Weg zu ihrem Ziel – dem ersten eukaryotischen Organismus mit komplett synthetischem Genom.

Genetiker arbeiten schon lange an der Erschaffung maßgeschneiderter Lebensformen mit einem komplett synthetischen, aus einzelnen DNA-„Buchstaben“ im Labor erzeugten Erbgut. Solche „Designer-Genome“ sollen nicht nur eine gezieltere Manipulation von Zellen und Organismen ermöglichen, sie liefern auch wertvolle, noch fehlende Erkenntnisse über Aufbau, Funktionen und Wechselwirkungen des Erbguts – so die Hoffnung.

Hefechromosom
Das erste nachgebaute Hefe-Chromosom. Gelbe Abschnitte kennzeichnen gelöschte Stellen, die Markierungen zeigen, wo die Forscher Änderungen am Erbgut vornahmen. © Lucy Reading-Ikkanda

Von Bakterien zu den ersten Chromosomen

Bei einfachen Bakterien gelang es schon 2010, lebenden Zellen ein künstliches Genom einzupflanzen. 2019 erschufen Wissenschaftler das erste komplexere Bakterium mit synthetischem Genom, das vier Millionen Basenpaare umfasste. Doch bei den Zellen von Eukaryoten – dem Zelltyp aller höheren Lebewesen einschließlich uns Menschen – stößt die synthetische Biologie bisher an ihre Grenzen. Denn bei diesem Zelltyp ist das Genom in Hüllstrukturen verpackt und auf mehrere Chromosomen aufgeteilt – entsprechend aufwendig ist der Nachbau.

Dieser Herausforderung stellt sich das Synthetic Yeast Project (Sc2.0). In ihm arbeiten Forschende aus aller Welt daran, die 16 Chromosomen einer Hefezelle zu synthetisieren und damit eine lebensfähige Hefe 2.0 zu erzeugen. 2014 gelang es ihnen, das erste künstliche Chromosom der Hefe zu konstruieren. 2017 folgte die erste lebensfähige Hefezelle, in der sechs ihrer 16 Chromosomen durch solche synthetischen Konstrukte ersetzt waren.

„Betriebssystem der Zelle umgeschrieben“

Jetzt ist dem Synthetic Yeast Project ein weiterer Meilenstein gelungen: Sie haben inzwischen alle 16 Chromosomen der Bäckerhefe (Saccharomyces cerevisiae) nachgebaut. Sieben ganze und ein halbes dieser Chromosom-Konstrukte haben sie dann in lebende Hefezellen eingeschleust. Weil unter diesen synthetischen Genomträgern auch das größte und genreichste Chromosom der Hefe ist, besteht das Erbgut dieser „Designer-Hefezellen“ damit zu mehr als der Hälfte aus künstlich hergestellter DNA.

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„Wir haben damit das Betriebssystem der Bäckerhefe umgeschrieben“, sagt Sc2.0-Projektmitglied Patrick Yizhi Cai von der University of Manchester. „Das eröffnet eine neue Ära der synthetischen Biologie – vom Basteln an einer Handvoll Genen zum De-Novo-Design und der Konstruktion ganzer Genome.“ Ihr neu entwickelter Hefestamm syn7.5 erwies sich trotz des großen Anteils künstlicher SNA als lebensfähig und konnte sich vermehren. Er ist allerdings im Wachstum noch langsamer als die natürliche Hefe.

Vorarbeit mit verteilten Rollen

Um diese halbsynthetische Hefe zu erzeugen, waren allerdings zahlreiche aufwendige Schritte nötig. Zuerst übernahmen verschiedene Teams in Laboren weltweit die Konstruktion jeweils eines Chromosoms. In diesen Konstrukten entfernten die Forschenden einen Großteil der nichtproteinkodierenden DNA und viele wiederholte Elemente. Außerdem entwickelten sie eine Art Wasserzeichen, durch das Hefen mit synthetischem Erbmaterial mittels PCR-Test von natürlichen Hefezellen zu unterscheiden sind.

Das Ergebnis dieser Arbeiten sind 16 verschiedene Hefestämme, die jeweils 15 ihrer natürlichen Chromosomen enthalten und ein synthetisches, das die Arbeit des ersetzten Chromosoms übernimmt. Die nächste Herausforderung ist es nun, die verschiedenen synthetischen Chromosomen in einer Hefezelle zusammenzubringen. Dies muss so geschehen, dass die Zelle trotzdem weiter lebensfähig ist. Dafür entwickelte die Forschungs-Kollaboration eine neue Methode der Chromosomen-Substitution, die die in der Vorversion eingesetzten Kreuzungsversuche umgeht.

Genetische Bugs und Reparaturen

In einem ersten Test nutzte das Team diese Methode, um zunächst siebeneinhalb künstliche Chromosomen in einer lebenden Hefezelle zu vereinen – so viele wie nie zuvor. Allerdings zeigte sich dabei auch, dass diese Rekombination der zuvor getrennt hergestellten DNA-Einheiten, einige Probleme verursachte: Es kam zu Dopplungen und gegenseitigen Störeffekten zwischen einigen Chromosomenteilen, andere DNA-Abschnitte fehlten. Während diese „Bugs“ in den Hefestämmen mit nur einem künstlichen Chromosom durch die natürlichen Zellfunktionen kompensiert wurden, traten sie in der syn7.5-Hefe zutage.

„Wir wussten im Prinzip, dass dies passieren könnte“, sagt Jef Boeke von der New York University Langone Health, einer der Leiter des Projekts. „Wenn man eine große Anzahl winziger Defekte hat und sie dann alle zusammenbringt, dann kann dies fatal enden.“ Die Forschenden nutzten daher eine Abwandlung der Genschere CRISPR/Cas9, um diese genetischen Defekte zu reparieren. „Durch dieses Debugging haben wir viel Neues über die Regeln des Lebens gelernt“, sagt Boeke.

Deutliche Abweichungen von der Natur

Das Ergebnis ist ein Hefestamm, dessen Erbgut zu mehr als der Hälfte auf maßgeschneiderten, im Labor hergestellten Chromosomen liegt. Diese Chromosomen sind bewusst keine bloßen 1:1-Kopien ihrer natürlichen Vorbilder, sondern stark verändert und auf das Nötigste reduziert. „Wir fanden es wichtig, etwas zu entwickeln, das vom Design der Natur abweicht“, erklärt Boeke. „Denn unser Ziel war es, eine Hefe zu konstruieren, die uns neue Biologie lehrt.“

Eine dieser Abweichungen von der Natur zeigt sich in einem ganz neuen, in der Natur nicht vorkommenden Chromosom. Für dieses entfernten die Forschenden zahlreiche, normalerweise über die verschiedenen Chromosomen verstreute Gene und sammelten sie in einem eigenen Erbgutträger. Dieses „Neochromosom“ enthält dadurch alle 275 Gene, die im Zellkern der Hefe normalerweise für die Produktion von Transfer-DNA zuständig sind – den kurzen RNA-Schnipseln, die bei der Proteinsynthese die jeweils passenden Aminosäuren heranschaffen und an der passenden Stelle einfügen.

„Dieses tRNA-Neochromosom ist das weltweit erste vollständig neu zusammengestellte synthetische Chromosom“, erklärt Cai. „In der Natur existiert nichts Vergleichbares.“ Im aktuellen Hefestamm syn7,5 ist das tRNA-Neochromosom noch nicht enthalten. Es soll aber zum Einsatz kommen, wenn das Projekt seine nächste Phase beginnt – die Herstellung einer Hefezelle mit komplett künstlichen Genom.

Zelle mit komplett synthetischem Erbgut in Reichweite

„Auf unserem Weg, alle 16 synthetischen Chromosomen in einer einzigen Zelle zu vereinen, stehen wir nun kurz vor der Ziellinie“, sagt Boeke. Nach Ansicht der Wissenschaftler wird die Erschaffung eines ersten eukaryotischen Organismus mit synthetischem, maßgeschneidertem Genom eine ganz neue Ära der Zellbiologie und Genetik einleiten. „Diese Arbeit ist fundamental für unser Verständnis der Bausteine des Lebens „, sagt Cai.

Schon jetzt hat die Arbeit an den synthetischen Chromosomen zahlreiche neue Erkenntnisse über die Struktur und das Zusammenwirken verschiedener DNA-Abschnitte und Gene erbracht. Die Fähigkeit, Erbgut direkt aus seinen Bausteinen zusammenzusetzen, statt es nur zu editieren, ermöglicht aber auch neue, gezieltere Wege der Genmanipulation. „Dies könnte von der Herstellung neuer Mikrobenstämme für die grünere Bioproduktion bis zu neuen Einsichten und Maßnahmen gegen Krankheiten reichen“, dagt Co-Projektleiter Ben Blount von der University of Nottingham.

„Die synthetischen Chromosomen sind schon für sich genommen eine enorme technische Leistung“, so Blount weiter. „Sie eröffnen und aber auch eine ganze Palette neuer Möglichkeiten, die Biologie zu erforschen und anzuwenden.“ (Cell Genomics, 2023; doi: 10.1016/j.xgen.2023.100438; Cell, 2023; doi: 10.1016/j.cell.2023.09.025)

Quelle: Cell Press

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