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Geologie/physische Geographie

Uferlos

Wie das Meer an der Küste nagt

…„Ein Orkantief mit Windböen der Stärke zwölf hat an der deutschen Nordseeküste vielerorts zu Überschwemmungen geführt. Hafenanlagen und Straßen standen unter Wasser, Bäume wurden umgeknickt und Dächer abgedeckt. Besonders schwer hat es die Insel Sylt getroffen, wo Dünen auf einer Breite von bis zu drei Metern abgetragen wurden. Nach Angaben der örtlichen Einsatzkräfte ist die Insel jedoch mit einem blauen Auge davon gekommen, da die materiellen Schäden ansonsten gering ausfielen“…

Die Kraft der Brandung zertrümmert Gesteine und formt die Küste. © Andreas Heitkamp

Deutschlands bekannteste Nordseeinsel hat es erwiesenermaßen schwer: Immer wieder gräbt das Meer der Insel Land ab, Stück für Stück und Jahr für Jahr. So schrumpft die Insel Sylt durch die Kraft der Brandung jährlich um durchschnittlich 17.000 Quadratmeter Land – immerhin die doppelte Größe eines Fußballfeldes. Alle Schutzbemühungen durch künstliche Wellenbrecher, Sandaufspülungen oder Dünenbefestigungen zeigen zwar Erfolge, doch können sie das Abbrechen des Ufers vielerorts nur verlangsamen, nicht aber aufhalten.

Doch Sylt ist leider kein Einzelfall. Küstenverluste von einem halben bis zwei Metern Breite sind nicht unüblich, in manchen Fällen wie an Chinas Küsten sind es sogar schon einmal über 80 Meter pro Jahr. Und eine jüngste Studie der Europäischen Kommission zeigt: Mindestens ein Fünftel der europäischen Küstenlinien sind akut von der so genannten marinen Erosion betroffen. „Wir müssen sehr viel mehr auf unsere Küsten Acht geben“, so Margot Wallström, Kommissarin für Umweltfragen. „Sie schützen die Menschen vor den Gewalten des Meeres, sie sind ein wichtiges Habitat für viele Tiere und Pflanzen, und sie sind ökonomisch von zentraler Bedeutung: Viele Menschen lieben es, ihren Urlaub an der Küste zu verbringen.“

Steilküsten im Wandel

Ein Kliff unterliegt ständig der marinen Verwitterung. Erreicht allerdings die Brandung die Steilküste nicht mehr, so spricht man von einem inaktiven Kliff. © MMCD

Dabei unterliegen nicht nur die flachen und bei Urlaubern beliebten Sandküsten der marinen Erosion. Auch Steilküsten werden durch die Kraft der Brandung angegriffen. Die Wellen und mitgeführten Steine schlagen immer wieder gegen den Fuß der Felswände und höhlen diese soweit aus, bis eine so genannte Brandungshohlkehle entstanden ist. Durch diese Höhle wird den darüber lagernden Gesteinsschichten der Halt genommen wird: sie rutschen ab. Der Schutt sammelt sich nun am Fuß der Küste und wird durch die Kraft der Wellen erneut gegen die Felsen geschleudert. Diese mechanische Bearbeitung der Wände und die Rückverlegung der Küste ins Landesinnere findet so lange statt, bis die Brandung die Steilküste nicht mehr erreichen kann.

Küstenschutz im Wandel

Besonders zum Schutz der flachen Ufer werden daher Buhnen, Molen oder Steinwälle vor der Küste ins Wasser gebaut. Diese dienen als Wellenbrecher und nehmen der Brandung zumindest einen großen Teil ihrer zerstörerischen Kraft. Doch die Praxis hat gezeigt, dass die Schutzbauten auch ihre Schattenseiten haben. So verhindern sie beispielsweise, dass Wellen und Gezeiten auf natürliche Weise Sand am Ufer ablagern, während sie zugleich auf der Leeseite der Molen die Strände schneller abtragen. Als Folge muss an diesen Stellen oft mühsam und teuer Sand künstlich aufgeschüttet werden, um die Verluste auszugleichen.

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Hausgemachte Probleme

So bringt denn auch die angesprochene EU-Studie ein erschreckendes Detail ans Licht: Ein Großteil der marinen Erosion ist wahrscheinlich ein hausgemachtes Problem. Schätzungsweise 100 Millionen Tonnen Sand werden den Flüssen und Küsten jährlich durch Ausbaggerungen künstlich „weggenommen“. Entsprechend hat sich die Schwebfracht der Fließgewässer erheblich verringert – Material, das die Natur eigentlich selber zum Schutz der Küsten benötigt. So trägt beispielsweise der Nil heute 95 Prozent weniger Sedimente ins Mittelmeer als noch vor rund 50 Jahren. Wissenschaftler sprechen inzwischen von einer gestörten natürlichen Resedimentierung der Küsten.

Fraktale Ufer

Steilküsten können mehrere hundert Meter hoch sein und sind immer von Verwitterung und Erosion gezeichnet. © Harald Frater

Doch trotzdem ist die Küste der Kraft des Wassers nicht völlig schutzlos ausgeliefert. Unlängst fanden Wissenschaftler des Polytechnischen Instituts von Palaiseau in Frankreich heraus, dass die häufig chaotisch wirkenden Küstenverläufe alles andere als Zufall sind. Denn die an fraktale Muster erinnernden, unregelmäßigen und kantigen Strukturen dienen vielmehr als natürliche Dämpfung der Erosion. Um die Kraft der Wellen optimal zu brechen, verwandeln sich selbst ehemals gerade Küstenlinien im Laufe der Zeit in solch eine fraktale und scheinbar chaotische Form.

Doch den Einwohnern von Sylt ist dies kein wahrer Trost. Denn die Wissenschaftler sind sich mehr oder weniger einig: In nicht allzu ferner Zukunft wird der Deutschen liebste Insel wahrscheinlich auseinander brechen…

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Stand: 04.03.2005

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Erosion und Verwitterung
Landschaft im Wandel

Schlag auf Schlag
Hungrige Flüsse

Uferlos
Wie das Meer an der Küste nagt

Es gibt für alles eine Lösung…
Chemische Verwitterung

Im Wechselbad der Temperaturen
Physikalische Verwitterung

Vom Winde verweht
Peeling der Steine

Wenn der Humus baden geht
Landwirtschaft am Boden

Gefahr am Hang
Von Erdrutschen und Schlammlawinen

Erosion beendet Klimaschock
Erdrutsche gegen Methan

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