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Physik

Klumpen, Paare und Raser

Im dynamischen Reich der Nukleonen

Atomkern
Gängige, vereinfachte Darstellung eines Atomkerns. © koya79/ iStock

In Abbildungen wird der Atomkern gern als kugeliges, massives Gebilde aus eng und statisch aneinanderklebenden Protonen und Neutronen dargestellt. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus. Denn im Inneren des Atomkerns geht es überraschend dynamisch zu. Die Nukleonen bewegen sich im Kern umher, gehen vorübergehende Paarungen ein und können sogar in kollektive Rotation verfallen.

„Solche Korrelationen zwischen Nukleonen spielen eine entscheidende Rolle für unser Verständnis der Eigenschaften von Atomkernen, Kernmaterie und auch großen Objekten im Kosmos wie die Neutronensterne“, erklärt Junki Tanaka von der TU Darmstadt.

Paare, Trios und Quartette

Obwohl die durchschnittliche Dichte der Kernmaterie bei allen Elementen und Isotopen gleich ist, gibt es demnach innerhalb des Atomkerns durchaus lokalisierte und kurzzeitige Abweichungen. Es bilden sich je nach Atomkern und Anregungszustand Paare, Trios oder sogar Quartette aus verschiedenen Nukleonen. Diese werden von der starken Kernkraft besonders fest zusammengehalten, wechselwirken mit anderen kurzlebigen Gruppierungen dagegen nur schwach.

Alpha-Zerfall
Die Freisetzung von Heliumkernen (α-Teilchen) bei bestimmten Formen des radioaktiven Zerfalls weckt die Frage, ob diese Heliumkerne vielleicht schon vorher im Atomkern existieren. © Inductiveload/ gemeinfrei

Einer dieser im Atomkern vorkommenden Nukleon-Cluster sind Heliumkerne – Klumpen aus jeweils zwei Protonen und zwei Neutronen. Der Theorie zufolge kommen sie bei leichteren Atomkernen wie Beryllium, Kohlenstoff und Sauerstoff sowohl im Grundzustand wie im angeregten Zustand vor. Ein prominentes Beispiel ist der sogenannte Hoyle-Zustand beim12C-Kohlenstofff, dessen Kern drei solcher Alphateilchen enthält. Dieser Zustand spielt wahrscheinlich auch bei der Bildung des Kohlenstoffs im Inneren von Sternen: Der Kohlenstoff-Kern entsteht dort durch die Fusion dreier Heliumkerne.

Alphateilchen unter der „Haut“

Doch wie ist es bei größeren, schwereren Atomkernen? Theoretische Modelle legen nahe, dass kurzlebige Heliumkerne bei diesen Elementen nur nahe der Kernoberfläche vorkommen können. „Dies könnte erklären, woher die beim radioaktiven Alpha-Zerfall freigesetzten Heliumkerne herkommen“, sagt Tanaka. Doch ob es solche Alphateilchen an der Oberfläche schwerer Atomkerne wirklich gibt, blieb lange unklar.

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Erst im Jahr 2021 gelang es Tanaka und seinen Kollegen, dies experimentell zu belegen. Dafür schossen sie Protonen auf Zinn-Isotope mit unterschiedliche hohen Neutronenüberschüssen. Wenn es an der Oberfläche dieser Atomkerne Alphateilchen gibt, müssten sie sich durch direkte Treffer aus dem Zinnkern schlagen lassen. Tatsächlich konnte das Team genau dies beobachten. Die Merkmale der herausgeschlagenen Heliumkerne und der gestreuten Protonen verrieten zudem, dass diese Alphateilchen aus der Oberflächenzone der Atomkerne stammten und schon vor dem Beschuss existiert haben mussten.

Interessant auch: Je neutronenreicher die beschossenen Zinn-Kerne waren, desto weniger Alphateilchen entstanden bei dem Protonenbeschuss. Dies bestätigt eine zweite Annahme zur Struktur schwerer Atomkerne: Bei einem hohen Neutronenüberschuss bildet sich eine Art „Haut“ aus Neutronen an der Atomkern-Oberfläche – und diese behindert das Herausschlagen der Alphateilchen.

Short-Range Correlations
Protonen und Neutronen im Atomkern bilden kurzlebige Paare, die sogenannte Short-Range-Korrelation (SRC). © Podbregar/ scinexx

Rasende Paare im Kern

Noch häufiger als die Vierer-Cluster der Heliumkerne sind jedoch Nukleonen-Paare im Atomkern. Bei dieser sogenannten Short-Range-Korrelation (SRC) interagieren zwei Kernbausteine so stark miteinander, dass ihre Strukturen kurzzeitig überlappen. Typischerweise bestehen solche Paare aus einem Neutron und einem Proton. Schon in den 1950er Jahren hatten Kollisionsexperimente in Teilchenbeschleunigern enthüllt, dass diese Proton-Neutron-Duos meist mit hohem Impuls durch den Kern rasen.

Wie viele Nukleonen eines Atomkerns in Form solcher Raser-Paare vorliegen, ermittelten Physiker im Jahr 2018 – ebenfalls mithilfe von Teilchenkollisionen. Demnach bilden im Schnitt rund 20 Prozent der Kernbausteine kurzlebige SRC-Paare mit hohem Impuls. Interessanterweise nimmt dabei der Anteil der Protonen, die zu schnellen „Rasern“ werden, mit steigender Neutronenzahl zu. Je mehr Neutronen ein Isotop besitzt, desto mehr seiner Protonen sind demnach in SRC-Paaren gebunden.

Das Rätsel der Spiegelkerne

Gängiger Lehrmeinung nach kommen Nukleonen-Paarbildungen mehrheitlich zwischen ungleichen Kernbausteinen vor. Solche Paare aus Proton und Neutron machen rund 95 Prozent der Short-Range-Korrelationen im Atomkern aus – und das bei nahezu allen Elementen, wie Messungen ergaben. Deshalb galt diese Verteilung lange als gültig für alle Arten von Atomkernen – egal bei welchem Element oder Isotop.

TRitium-Kern
Proton-Neutron-Paar im Tritium-Kern. In diesem leichten Atomkern bilden sich gleiche Paare jedoch häufiger als erwartet. © Thomas Jefferson National Accelerator Facility

Doch ein weiteres Kollisions-Experiment im Jahr 2022 enthüllte diese Annahme als Irrtum. In diesem hatte ein Team um Shujie Li vom Lawrence Berkeley National Laboratory die SRC-Paare von zwei sogenannten „Spiegelkernen“ untersucht – Atomkernen, die die gleiche Gesamtzahl an Kernbausteinen besitzen, aber unterschiedliche Anteile von Protonen und Neutronen. Im konkreten Fall waren dies Tritium (3H) und Helium-3 (3He).

Das überraschende Ergebnis: „Wir finden eine ausgeprägte Abweichung von der fast völligen Dominanz der ungleichen Paare, wie sie in schwereren Atomkernen beobachtet wird“, berichteten die Physiker. In beiden Spiegelkernen machten gleichartige Paare gut 20 Prozent der SRC-Korrelationen aus – viermal mehr als erwartet. Woher diese Abweichung kommt, ist bisher ungeklärt. Die Forschenden vermuten jedoch, dass es mit der insgesamt geringen Nukleonenzahl in diesen leichten Atomkernen zu tun haben könnte. Ob das stimmt und was genau diese Spiegelkerne so besonders macht, müssen nun weitere Studien klären.

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Im Atomkern
Reise ins Innere der fundamentalen Bausteine unserer Welt

Magische Zahlenspiele
Wie ist der Atomkern aufgebaut?

Klumpen, Paare und Raser
Im dynamischen Reich der Nukleonen

Der Kleber
Die starke Wechselwirkung und ihre Eigenheiten

Rätselhafte Diskrepanzen
Das Proton stellt sich quer

Das Geheimnis der Seequarks
Teilchengewimmel im Inneren der Kernbausteine

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