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Sonnensystem

Chemische Zyklen

Haben erst die lunaren Gezeiten das Leben ermöglicht?

Bis heute ist es ein Rätsel, wie einst das erste Leben auf unserem Planeten entstand. Auch darüber, wo sich die ersten Lebensbausteine und Zellen zusammenfanden, gibt es viele Hypothesen, aber keine Belege. Die Spanne möglicher Lebenswiegen reicht von den hydrothermalen Schloten der Tiefsee über heiße Tümpel bis hin zu Poren in festem Gestein.

DNA
Damit die DNA kopiert werden kann, müssen sich die Stränge trennen.© Madprime/ CC-by-sa 3.0

Chemische Hürden

All diesen „Kandidaten“ ist eines gemeinsam: Sie müssen Bedingungen bieten, unter denen sich die Erbmoleküle RNA oder DNA aus Vorläufermolekülen zusammenfinden und nicht sofort wieder zerfallen. Das passiert nur dann, wenn die Konzentration der nötigen Bausteine – Nukleinsäuren, Phosphaten und Zuckern – hoch genug ist. Das offene Meer scheidet daher nach Ansicht der meisten Forscher als Ursuppe aus. Günstiger sind begrenzte Räume, in denen sich die Bausteine anreichern und die Umweltbedingungen eine Synthese fördern.

Doch es gibt noch eine zweite Hürde: Wahrscheinlich existierten am Anfang des Lebens noch keine Enzyme, die das Kopieren und Vermehren der Erbmoleküle bewerkstelligten. Die RNA oder DNA muss daher auch ohne ihre Hilfe repliziert worden sein – aber wie? Bei der RNA könnten sogenannte Ribozyme die Lösung sein – eine Variante der RNA-Moleküle, die Funktionen von Enzymen übernehmen können. Deshalb halten einige Wissenschaftler es für wahrscheinlich, dass die ersten Lebensformen ihr Erbgut nicht in der DNA, sondern mit RNA kodierten.

Aber jüngste Forschungen legen nahe, dass auch die DNA am Beginn des Lebens gestanden haben könnte – weil es den Mond und seine Gezeiten gab. Erst durch sie könnten sowohl die Verknüpfung der vier Nukleinsäuren als auch die Replikation der fertigen DNA-Stränge ohne Hilfe von Enzymen abgelaufen sein.

Lunarer Ausweg aus der Sackgasse

„Normalerweise ist das nichtenzymatische Kopieren von DNA-Strängen eine Sackgasse“, erläutert Richard Lathe von der University of Edinburgh. Denn dabei bildet sich ein zweiter Strang durch Anlagerung von komplementären Basen an den ersten. Ist dieser zweite Strang fertig, bleibt er aber weiter angelagert und blockiert so den Platz für eine weitere Kopie. Wenn es keine äußeren Kräfte gibt, die die beiden DNA-Stränge wieder trennen, stoppt der Prozess und damit auch die Replikation.

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An diesem Punkt kommt der Mond ins Spiel: Weil er der jungen Erde noch weit näher war und diese sich schneller drehte, waren die Gezeiten stärker und schneller als heute. „Dadurch reichten die Gezeitenzonen mehrere hunderte Kilometer weit ins Land hinein“, erklärt Lathe. In diesen Zonen wechselten Wasserbedeckung, Salzgehalte und Temperaturen alle paar Stunden im Rhythmus von Ebbe und Flut. Es gab unzählige Gezeitentümpel, die bei Flut überliefen und ausgespült wurden, bei Ebbe aber kleine isolierte Becken bildeten, in denen sich Salze und chemische Moleküle anreichern konnten.

Gezeitentümpel
Gezeitentümpel, wie hier in Südafrika, könnten ideale Bedingungen für die Bildung und Replikation der Erbmoleküle geboten haben.© Shyamal /CC-by-sa 3.0

Wechsel von Konzentration und Verdünnung

Diese Gezeitentümpel könnten, so glaubt Lathe, die idealen Bedingungen für die Replikation der ersten DNA-Moleküle geboten haben: Wenn die Gezeitenzone trockenfiel und das Wasser in den Tümpeln wärmer und salziger wurde, förderte dies die Anlagerung neuer Nukleinsäuren an die einsträngige DNA – sie wurde kopiert. „Bei erhöhter Salzkonzentration werden die sich abstoßenden Ladungen der Phosphate neutralisiert und Wasserstoffbrücken zwischen den Strängen begünstigt“, erklärt der Biochemiker.

Wenn dann die Flut kam, verdünnte sie das Wasser in den Tümpeln. Als Folge sank der Salzgehalt und das destabilisierte die Bindungen zwischen den beiden komplementären Strängen. Die DNA zerfiel in zwei Einzelstränge – und war damit bereit für einen neuen Kopierzyklus. Diese periodische Abfolge könnte damit die Voraussetzung für erste DNA-Lebensformen geschaffen haben.

Ohne Mond kein Leben?

Noch ist Lathes Szenario zwar nicht viel mehr als eine Hypothese unter vielen. Aber ungeachtet dessen, ob nun RNA oder DNA am Anfang des Lebens standen und wie genau sie zustande kamen: Auch andere Wissenschaftler halten es für wahrscheinlich, dass sich die ersten Lebensbausteine in wechselnden Bedingungen bildeten. Und die allgegenwärtigsten und verlässlichsten Wechsel erzeugten die vom Mond verursachen Gezeiten.

Im Umkehrschluss bedeutet dies: Wenn die Erde keine Mond besäße, wäre dieser Weg zum Leben versperrt oder zumindest deutlich unwahrscheinlicher gewesen. Dann könnte die irdische Lebenswelt heute vielleicht ganz anders aussehen – oder sie wäre nie entstanden.

Sollte sich dies bestätigen, hätte das auch Auswirkungen auf die Suche nach außerirdischem Leben. Denn dann wären all jene Himmelskörper die aussichtsreichsten Kandidaten, die unter dem Einfluss von Gezeitenkräften stehen. Das könnte ein Exoplanet mit einem großen Trabanten sein, aber auch ein Mond, der von seinem weit größeren Planeten regelmäßig „durchgewalkt“ wird. Ein Beispiel dafür ist der Jupitermond Europa, der den Gezeitenkräften des Jupiter seinen subglazialen Ozean verdankt.

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Erde ohne Mond
Was wäre, wenn es den Erdtrabanten nicht gäbe?

Ein echter Sonderling
Warum der Erdmond im Sonnensystem eine Ausnahme ist

Kürzere Tage und raueres Klima
Wenn die lunaren Gezeiten fehlen

Taumelnde Achse
Der Mond als Schutz und Stabilisator

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