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Psychologie

Wenn Gehirne von Eltern und Kindern synchron ticken

Neuronale Angleichung liefert Hinweise auf Beziehungstyp und Eltern-Kind-Beziehung

Vater und Tochter beim backen
Bei gemeinsamen Aktivitäten bauen Eltern und Kinder eine emotionale Bindung zueinander auf. Das zeigt sich auch an ihrem Gehirn. © SanyaSM / iStock

Neuronaler Gleichklang: Wenn Eltern und ihre Kinder zusammen spielen oder andere Dinge gemeinsam tun, zeigt sich das auch in ihrem Gehirn. Die neuronalen Prozesse der Beteiligten synchronisieren sich und gleichen sich dadurch aneinander an. Wie ausgeprägt diese neuronale Synchronität ist, hängt auch von der Qualität der Eltern-Kind-Beziehung ab, wie Psychologen herausgefunden haben. Aber ist ein hohes Maß an Gleichklang immer sinnvoll?

Eltern und Kinder verbindet ein unsichtbares Band. Bei gemeinsamen Aktivitäten wie etwa beim Spielen bauen sie eine emotionale Bindung zueinander auf. Die Qualität dieser Eltern-Kind-Bindung beeinflusst wiederum die zwischenmenschlichen Beziehungen und die spätere soziale Entwicklung des Kindes. Je nach Intensität der daraus resultierenden Bindungen und je nachdem, wie gut ein Mensch das gemeinsam Erlebte emotional verarbeiten kann, sprechen Psychologen von einer eher sicher oder eher unsicher gebundenen Person.

Die Art und Weise, wie Eltern auf Kinder reagieren, beeinflusst damit letztendlich, wie diese sich ihrer Umwelt gegenüber verhalten. Wie wichtig eine Abstimmung der neuronalen Prozesse im Gehirn dabei für die kindliche Bindung und Entwicklung ist, ist bislang jedoch kaum erforscht.

Eltern-Kind-Beziehung im Fokus

Psychologen um Melanie Kungl von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) haben daher nun untersucht, ob ein Zusammenhang besteht zwischen der Intensität der familiären Bindung und dem Takt der Gehirne von Eltern und Kind. Wie stark stimmen sich die Neuronen jeweils aufeinander ab? Und wie hängt dieser neuronale Gleichklang mit den familiären Bindungserfahrungen zusammen?

Um das herauszufinden, untersuchte das Forschungsteam 140 Paare aus je einem Elternteil und einem fünf- oder sechsjährigen Kind. Die Psychologen führten mit ihnen zunächst Interviews, um die Bindung der Eltern-Kind-Paare zu analysieren. Anschließend untersuchten Kungl und ihre Kollegen die neuronalen Prozesse im Gehirn der Eltern und Kinder, während diese alleine oder gemeinsam ein Tangram-Puzzle lösten.

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Dafür nutzen sie die funktionelle Nahinfrarotspektroskopie (fNIRS), bei der auf einer Kappe angebrachte Sensoren aufzeichnen, wie stark die jeweiligen Gehirnregionen mit Sauerstoff versorgt werden – ein Hinweis darauf, wie aktiv diese sind. Zugleich beobachteten die Forschenden, wie sehr Vater oder Mutter und ihr Kind beim gemeinsamen Puzzeln ihr Verhalten einander anpassten.

Mehr oder weniger synchron

Die Gehirnscans bestätigten frühere Befunde, dass eine Zusammenarbeit tatsächlich zu erhöhter neuronaler Synchronie führt, verglichen mit der eigenständigen Lösung eines Problems. Die Eltern und Kinder waren demnach beim gemeinsamen Puzzeln mehr auf gleicher neuronaler Wellenlänge, wie das Team berichtet. Dabei standen in den Tests insbesondere jene Hirnareale im Einklang, die uns helfen, sich in die Lage des Gegenübers zu versetzen, sowie jene, die für die Aufmerksamkeitssteuerung und Selbstregulation verantwortlich sind.

Beim Vergleich der Hirndaten zeigte sich zudem, dass die Gehirnwellen der Eltern-Kind-Paare nicht immer gleichermaßen synchron waren: Das Ausmaß der neuronalen Synchronie unterschied sich abhängig von der Eltern-Kind-Beziehung. Stärker im Einklang mit ihren Kindern waren überraschenderweise die Gehirne von Vätern sowie jene von Müttern mit einer unsicheren Bindungserfahrung, wie Kungl und ihre Kollegen feststellten. Die Synchronie bezog sich bei den Müttern ausschließlich auf den linken dorsolateralen präfrontalen Cortex (dlPFC), bei den Vätern zusätzlich auch auf den rechten dlPFC sowie den linken temporoparietalen Übergang (TPJ).

Die Auswertung der Interviews und Verhaltensbeobachtungen ergab indes, dass alle Testpersonen ihr Verhalten beim Lösen der Aufgabe vergleichbar gut aufeinander abstimmten – sowohl unsicher als auch sicher gebundene Menschen. Mütter und Kinder passten ihr Verhalten jedoch stärker aneinander an als Väter und ihre Kinder.

Neuronale Synchronisation: Ist weniger mehr?

„Unsere Ergebnisse lassen uns vermuten, dass hohe neuronale Synchronie nicht immer als positiv bewertet werden sollte,“ sagt Kungl. Vielleicht sei Mittelmaß in dieser Hinsicht ein besseres Zeichen für eine gesunde Eltern-Kind-Beziehung. „Frühere Studien legen nahe, dass es unsicher gebundenen Eltern eher schwerfällt, sich auf die Interaktion mit ihren Kindern einzulassen, und dass solche Eltern-Kind-Paare demnach weniger gut aufeinander abgestimmt sind“, erklärt Kungl.

„Darauf basierend deuten unsere Befunde an, dass stark ausgeprägte neuronale Synchronie bei Eltern-Kind-Paaren mit unsicher gebundenen Müttern in besonderem Maße nötig ist, um eine gelungene Interaktion zu führen. Man könnte also sagen, dass diese Paare sich mental mehr anstrengen müssen, um gut zu harmonieren“, so Kungl weiter. Die neuronale Synchronisation ist demnach möglicherweise ein hilfreicher, aber anstrengender Bindungsmechanismus. Dauerhaft könnte dies zu einer Überlastung des unsicher gebundenen Elternteils oder des Kinds führen, fürchten die Forschenden.

Wie viel neuronale Synchronie gut für die Eltern-Kind-Beziehung ist, müsse jedoch immer individuell betrachtet werden, je nach Bindungstypen, schließen die Psychologen aus ihren Befunden. In Folgestudien wollen sie auch Dreierbeziehungen aus Mutter, Vater und Kind untersuchen, um die Zusammenhänge im gesamten Familiensystem besser zu verstehen. (Developmental Science, 2024; doi: doi.org/10.1111/desc.13504)

Quelle: Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

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