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Geowissen

Cannabis macht Riechzellen fitter

Neue Erkenntnisse über die Rolle des körpereigenen Cannabissystem im Nervensystem

Übersicht über den vorderen Hirnteil und die Nase der Larve des afrikanischen Krallenfrosches Xenopus laevis. © cmpb

Die Funktion von Sinneszellen in der Nase wird durch Cannabinoide entscheidend beeinflusst. Wie Göttinger Wissenschaftler im Tierversuch erstmals nachweisen konnten, reagieren die Riechzellen auf Duftstoffe verzögert, schwächer oder gar nicht, wenn sie zuvor mit einem Cannabis-Hemmstoff behandelt wurden. Die Erkennung der Duftstoffe normalisierte sich jedoch, sobald Cannabis hinzugefügt und die Wirkung des Antagonisten aufgehoben wurde. Die Erkenntnisse liefern wichtige Informationen über die Rolle, die das körpereigene Cannabissystem im Nervensystem spielt.

Die Wissenschaftler um Professor Dr. Dr. Detlev Schild, Dr. Dirk Czesnik und Dr. Ivan Manzini, Abteilung Neurophysiologie und zelluläre Biophysik der Universitätsmedizin Göttingen und des DFG Forschungszentrums für Molekularphysiologie des Gehirns (CMPB) schließen aus den Ergebnissen, dass körpereigene Substanzen, die wie Cannabis Einfluss nehmen, die Empfindlichkeit zumindest einiger Sinnessysteme verstärken. Die Ergebnisse wurden im Februar in der Online-Ausgabe der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America (PNAS) veröffentlicht.

Cannabis wird schon seit Jahrtausenden von vielen Völkern medizinisch eingesetzt. Doch erst seit Ende der 1980er Jahre ist bekannt, dass der menschliche Körper selbst Cannabisvergleichbare Stoffe – so genannte Endocannabinoide – produziert und diese Stoffe eine Rolle bei der Signalverarbeitung im Gehirn spielen. Der mögliche Einfluss von Endocannabinoiden bei neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen wie Schizophrenie, Multiple Sklerose oder Parkinson ist seither Gegenstand zahlreicher Untersuchungen.

Bekannt ist, dass der regelmäßige Konsum von Cannabis zu langfristigen kognitiven Schäden wie Motivations- und Konzentrationsverlust führen kann. Doch die grundlegenden Mechanismen, die sich dabei auf molekularer und zellulärer Ebene im Gehirn abspielen, sind noch nicht geklärt.

Kaulquappen als „Versuchskaninchen“

Die Göttinger Forscher haben nun den Einfluss von Cannabinoiden in einem dafür geeigneten Modellsystem – dem Geruchssinn von Kaulquappen – getestet. Ziel der vorliegenden Studie war es, den Einfluss des körpereigenen Cannabinoid-Systems auf das Riechen zu untersuchen und seine Bedeutung für die Sinneswahrnehmung zu klären.

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Für ihre Untersuchungen veränderten die Forscher die Konzentration von Cannabinoiden, während sie gleichzeitig die Sinneszellen reizten. Je nach An- oder Abwesenheit von Cannabinoiden variierten die elektrischen und chemischen Signale der Sinneszellen stark. "Zum ersten Mal ist damit bewiesen, dass Cannabinoide nicht nur im Gehirn Signale verändern, sondern auch schon jene Signale beeinflussen, die zum Gehirn geleitet werden", sagt der Leiter der Studie, Professor Detlev Schild.

"Viele der grundlegenden Mechanismen des Riechsystems wurden im Laufe der Evolution bewahrt. Daher ist es wahrscheinlich, dass Cannabinoide auch im Riechsystem von höheren Wirbeltieren und beim Menschen wirken könnten", erläutert Manzini die Untersuchungen an den Kaulquappen.

Zu viel Cannabis führt zu Geruchs-Halluzinationen

"Dass körpereigene Cannabinoide Einfluss auf die Geruchswahrnehmung haben, ergibt Sinn, wenn man frühere Studien berücksichtigt, die gezeigt haben, dass im Gehirn von Tieren erhöhte Cannabinoid-Werte gemessen wurden, wenn sie Hunger hatten. Da bekannt ist, dass man Gerüche stärker wahrnimmt, wenn man hungrig ist, liegt ein Zusammenhang zwischen der Menge von körpereigenen Cannabinoiden und der Riechempfindlichkeit nahe", so Czesnik: "Je mehr Cannabis wirkt, desto stärker ist das Geruchsempfinden. So wird auch plausibel, dass zu viel Cannabis zu Geruchs-Halluzinationen führen kann." Die Ergebnisse zeigen aber auch: körpereigene Cannabinoide spielen nicht nur bei der zentralen Verarbeitung von Reizen im Gehirn eine Rolle, sondern sie wirken schon ganz früh in der Peripherie der Wahrnehmung.

(idw – DFG Forschungszentrum für Molekularphysiologie des Gehirns, 26.02.2007 – DLO)

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