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Astronomie

Blick in die Kinderstube des Universums

Astronomen entdecken kurz nach dem Urknall entstandenes Sternsystem

Galaxie BzK-15504 © Genzel et. al. / ESO

Ein internationales Astronomenteam hat große Scheibengalaxien entdeckt, die unserer Milchstraße ähneln und sich in vergleichsweise kurzer Zeit etwa drei Milliarden Jahre nach dem Urknall gebildet haben müssen. Mithilfe des neuen Infrarot-Spektrometer SINFONI gelang es den Forschern am Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte, die Anatomie einer dieser Galaxien mit einer Rekordauflösung von nur 0,15 Bogensekunden zu studieren. Dabei konnten sie neue Erkenntnisse über die Galaxiebildung sammeln.

"Zum ersten Mal haben wir derart detailreiche Bilder der Gasbewegung in einem elf Milliarden Lichtjahre entfernten Sternsystem gewonnen", kommentiert Reinhard Genzel, Direktor am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Nature die Ergebnisse.

Neue Theorie der Galaxienbildung

Im vergangenen Jahrzehnt haben die Astronomen eine Theorie der Galaxienbildung und -entwicklung im jungen Universum erarbeitet: Gas gewöhnlicher Materie kühlte ab und sammelte sich in Konzentrationen der mysteriösen Dunklen Materie. Danach führten Kollisionen und Fusionen von Milchstraßensystemen zur hierarchischen Struktur einer Galaxie. Dieses grundsätzliche Szenario lässt jedoch offen, in welchen Zeiträumen und wann sich die Galaxien gebildet haben, und wann und auf welche Weise deren Kernregionen (bulges) und Scheiben – die hauptsächlichen Bestandteile heutiger Sternsysteme – entstanden sind.

Wertvolle Antworten hat jetzt die groß angelegte SINS-Studie über weit entfernte, leuchtstarke junge Milchstraßensysteme, so genannte Protogalaxien, geliefert. Dabei setzten die Forscher am Very Large Telescope das neuartige Infrarot-Spektrometer SINFONI ein, das in Kombination mit einem Korrektursystem scharfe Bilder und hoch aufgelöste Farbinformationen von Himmelsobjekten erzeugt.

Im Fall der rund elf Milliarden Lichtjahre entfernten Galaxie BzK-15504 erzielten die SINFONI-Beobachtungen eine Winkelauflösung von 0,15 Bogensekunden. Zum Vergleich: Der Vollmond erscheint am irdischen Himmel unter einem Winkel von 1.800 Bogensekunden. Der genannte Wert entspricht in dem fernen Sternsystem einer Strecke von nur 4.000 Lichtjahren. Die Bilder zeigen eine große, massereiche rotierende Protoscheibe, die Gas zu einem stetig wachsenden Kernbereich mit vielen jungen Sternen leitet.

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Hohe Geburtsraten – niedriges Alter

Die Forscher schließen daraus auf hohe Geburtsraten und ein vergleichsweise niedriges Alter der Sterne. Daher glauben sie, dass sich dieses Milchstraßensystem schnell gebildet hat – durch Fragmentierung und Sternentstehung in einer ursprünglich sehr gasreichen Protoscheibe. Beobachtungen an mehreren anderen Galaxien bei hohen Rotverschiebungen und damit großen Distanzen brachten ähnliche Ergebnisse.

"Am Anfang des Programms gingen wir davon aus, überwiegend unregelmäßige und vielleicht sogar chaotische Bewegungen beobachten zu können, wie sie die im jungen Universum häufig stattfindenden Kollisionen von Galaxien auslösen. Umso überraschter waren wir, als wir eine Reihe von großen rotierenden und gasreichen Scheibengalaxien entdeckten, deren kinematische Eigenschaften denen unserer heutigen Milchstraße sehr stark ähneln", sagt Genzel.

Größe und schnelle Rotation dieser Galaxien seien ein Hinweis darauf, dass das Gas einen vergleichbaren "Spin" aufweist wie die Ansammlungen Dunkler Materie, aus denen es sich abgekühlt hat. Auf diese Weise lasse sich eine wichtige Frage der Galaxienentstehung empirisch beantworten. Natascha Förster Schreiber, Balzan-Stipendiatin am Garchinger Max-Planck-Institut ergänzt: "Wir müssen jetzt versuchen zu verstehen, wie diese frühen Protoscheiben sich danach weiterentwickelt haben. Wir vermuten, dass sie nicht stabil geblieben sind."

Die SINFONI-Daten legen nahe, dass sich die Protoscheiben schließlich in dichte elliptische Scheiben verwandelt haben – entweder durch Prozesse, die sich in ihrem Inneren abspielten, so etwa durch spektakuläre Gaszuströme wie im Objekt BzK-15504, oder durch Kollisionen und Fusionen mit anderen Galaxien.

Galaxienbildung wird transparenter

Einen weiteren bedeutenden Aspekt bieten nach Ansicht der Forscher die sehr hohen Sternentstehungsraten, die für viele der hoch rotverschobenen leuchtstarken Galaxien hergeleitet werden konnten: Dort ist die Geburtenrate etwa hundert Mal höher als heute in unserer Milchstraße. "Wir haben zunehmende Beweise dafür, dass sich massive, weit entfernte Galaxien viel schneller gebildet haben als ursprünglich angenommen", sagt Andrea Cimatti, Teammitglied und Wissenschaftler an der Universität Florenz: "Die neuen SINFONI-Daten verschaffen uns einen ersten Eindruck davon, welche Prozesse möglicherweise beteiligt sind."

Das SINS-Programm am Very Large Telescope lässt erahnen, was in den nächsten Jahren mit der Kombination aus feldabbildendem Spektrometer und adaptiver Optik möglich wird. Alice Shapley, Forscherin am Princeton Observatory erklärt: "Diese Beobachtungen sind wirklich aufregend. Jetzt geht es darum, ähnlich hervorragende Daten für eine größere Anzahl von Galaxien zu erhalten, um unser Wissen über die Galaxienbildung weiter auszubauen."

(MPG, 17.08.2006 – DLO)

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