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Tokyo auf dem Schleudersitz

Kalkuliertes Risiko einer Megastadt

Skyline von Tokyo © Kerstin Fels / MMCD

Megastädte sind für Naturkatastrophen wie Hurrikans oder Erdbeben besonders anfällig, da hier auf engstem Raum Millionen von Menschen leben und die Höhe zerstörter Sachwerte schnell die Milliardengrenze überschreiten kann. Tokyo ist mit seinen 35 Millionen Einwohner solch ein Hochrisikogebiet und bereitet sich schon seit Jahrzehnten auf ein neues verheerendes Erdbeben wie zuletzt 1923 vor. Denn Experten sind sich einig: Wann es kommt, weiß niemand – doch dass es kommt, ist sicher.

Ein kleiner Tisch wackelt leicht, kurz darauf bewegen sich auch die Computer-Monitore, doch keiner der Angestellten im 17. Stock eines der Bürohäuser in Tokyo rührt sich. Erst als der Boden unter ihren Füßen zu schwanken beginnt, stehen einige auf, um aus dem Fenster zu sehen. Ein leichtes Erdbeben erschüttert Japans Hauptstadt – fast schon Alltag in der größten Megastadt der Welt.

Warten auf das große Beben

Die 35 Millionen Einwohner Tokyos haben sich daran gewöhnt, im wahrsten Sinne des Wortes auf einem Pulverfass zu wohnen. An der Nahtstelle dreier Erdplatten gelegen, kommt es in Japan fast täglich zu kleineren Beben und manchmal auch wie 1995 in Kobe zu größeren Katastrophen. Rund 5.000 Menschen ließen damals ihr Leben und die Sachschäden waren mit einer Höhe von über 100 Milliarden US-Dollar kaum noch zu beziffern. Die Experten sind sich einig, dass ein großes Erdbeben wie zuletzt 1923, durch das Tokyo, zu einem Großteil dem Erdboden gleichmacht wurde und über 140.000 Menschen das Leben kostete, nur noch eine Frage der Zeit ist.

Blatt im Frost © SXC

Doch hier stellt sich ein logistisches Problem für die Megastadt: Wie können die rund 35 Millionen Einwohner umfassend informiert und vor allem bei einer plötzlich eintretenden Katastrophe gerettet werden? Seit den 1960er Jahren ist der Katastrophenschutz fester Bestandteil der Tokyoer Stadtplanung. Um für den Ernstfall gerüstet zu sein, wurde die Stadt beispielsweise in verschiedene Evakuierungsgebiete eingeteilt, deren Nummern auch auf den Straßenschildern angegeben sind. Jedes Jahr finden entsprechende Übungen statt, und schon in der Schule wird den Kindern das richtige Verhalten bei Erdbeben beigebracht. Hochhäuser sollen als Brandmauern gegen Feuerstürme schützen und Freiflächen dienen als Auffanglager für jeweils zehntausende Menschen.

Erdbebensicheres Bauen – Wirklichkeit oder Illusion?

Ein großes Problem stellt jedoch das rasante Wachstum der Stadt dar. Noch vor rund 50 Jahren zählte Tokyo „nur“ 7 Millionen Einwohner und ist seitdem förmlich explodiert. Langsam hat die Megastadt von der Fläche Schleswig-Holsteins aber die Grenzen ihres Wachstums erreicht. Das umliegende Kanto-Gebirge bildet eine natürliche Barriere für die flächenhafte Ausdehnung. Neben den Neulandgewinnungen in der Bucht von Tokyo ist daher der Bau von immer höheren Hochhäusern der scheinbar einzige Ausweg aus der Platznot.

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Skyline von Tokyo © Kerstin Fels / MMCD

Nicht umsonst ist Japan neben den USA weltweit führend in der Konstruktion von erdbebensicheren Hochhäusern. Mithilfe von ausgeklügelten Stahlkonstruktionen werden die Gebäude tief im Boden verankert und die Fundamente sind zugleich so elastisch, dass sie bei Erschütterungen zwar mitschwingen, aber nicht zerreißen können. Bislang scheint das Konzept zumindest bei mittelschweren Erdbeben aufzugehen, auch wenn unklar bleibt, bis zu welcher Magnitude die Gebäude wirklich standhaft bleiben.

Restrisiko inklusive

Doch trotz aller organisatorischen Vorbereitungen bleibt ein großes Restrisiko, das vor allem vom Zeitpunkt und der Stärke des Bebens abhängt: Wie stark ist das Beben, wo liegt sein Zentrum? Befinden sich die Menschen überwiegend zu Hause oder sind sie auf dem Weg zur Arbeit? Schon der Bruch einer einzigen Gasleitung kann schlimmstenfalls eine Brandkatastrophe auslösen oder die Zerstörung wichtiger Kommunikationswege die Koordination der Rettungskräfte erschweren.

So konzentriert sich die moderne Katastrophenforschung auch nicht nur darauf, durch technische Lösungen oder die Schaffung von Frühwarnsystemen möglichst viele Schäden zu vermeiden. Vielmehr stehen inzwischen auch das selbstverantwortliche menschliche Handeln und sein Wagnis zum Risiko auf dem Prüfstand. Denn erst durch die Besiedlung von Gefahrenzonen wie Küsten, Flussufer oder Steilhängen können die Naturgefahren ihre volle Kraft entfalten. Tokyo ist sicherlich besser als jede andere Megastadt gegen den Ernstfall gerüstet, trotzdem bleibt ein Risiko, das nach Meinung von Experten leider immer noch viel zu hoch ist. Bleibt nur zu hoffen, dass Tokyo möglichst lange vom nächsten großen Beben verschont bleibt.

Weiterführender Link:

MegaCity TaskForce der IGU

(g-o.de, 11.11.2005 – AHE)

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