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Neurobiologie

Synapsen: Schrotflinte statt Gewehr

Neue Studie stellt gängige Lehrmeinung in Frage

Synaptische Kontaktstelle zwischen zwei Nervenzellen © Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie / J. Klingauf

Eine Überraschung erlebten amerikanische Wissenschaftler, als sie mithilfe einer neuen 3-D Simulation erstmals eine detaillierte dreidimensionale „Landkarte“ einer Synapse erstellten: Denn die Schaltstellen unseres Nervensystems funktionieren offenbar anders, als man bisher angenommen hatte. Wenn sie feuern, gleicht dies weniger einem gezielten Gewehrschuss als vielmehr dem Abfeuern einer Schrotflinte.

Die neu erstellte “Nanokarte” half den Forschern vom Howard Hughes Medical Institute um Terrence Sejnowski dabei, eine biologisch genaue Computersimulation der Synapsenfunktion zu entwickeln. Das Modell kombiniert dreidimensionale elektronenmikroskopische Aufnahmen mit Computersimulationen und Daten aus physiologischen Messungen an echten Neuronen. Jetzt könnten die in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Science veröffentlichten Ergebnisse dazu beitragen, das bisherige Bild über das Funktionieren der wichtigsten Schaltstellen des Nervensystems komplett umzukrempeln.

Breit gestreute Salven

Die bisherige Lehrmeinung ging davon aus, dass die Synapse gezielt „Salven“ von Neurotransmittern – chemischen Botenstoffen – von einer streng umrissenen Startregion des einen Neurons an eine ebenfalls genau begrenzten Zielregion auf dem empfangenen Neuron abgibt. Doch stattdessen zeigten die neuen Daten, dass die Synapse auch wie eine Schrotflinte reagieren kann, indem sie breit gestreute Pulse von Transmittern weit über die bekannten Rezeptorstellen hinaus „verschießt“.

Die Ergebnisse, so Sejnowski, sind ein Beweis für ein neues Konzept der Synapse: „Das Bild dieses Ganglions ist nicht das einer einfachen Synapse mit einer einzigen, sondern einer mit vielen Freisetzungestellen“, so der Forscher. „Wenn wir nur von einer Freisetzung in den aktiven Zonen ausgehen, zeigt unser Modell nur wenig Übereinstimmung zu den tatsächlichen Eigenschaften des Neurons. Doch wenn wir eine breitere Neurotransmitter-Abgabe zugrunde legen, stimmen die Eigenschaften sehr genau überein.“ Die breitere Streuung der Transmitter wird auch als ektopische Freisetzung bezeichnet.

Funktion noch unbekannt

“Bisher können wir darüber nur bei diesem einen Typen von Neuronen, dem ciliären Ganglion, sicher sein“, so Sejnowski. „Aber wir sind zuversichtlich, dass diese Indizien grundsätzlich auf eine ektopische Freisetzung hindeuten und das bedeutet, dass man der jetzigen Lehrbuchversion nicht mehr trauen sollte, in der alle Vesikel nur in der aktiven Zone entlassen werden.“

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Noch ist die Funktion dieser neuronalen “Schrotflinte” allerdings unbekannt. Es gibt jedoch Spekulationen darüber, dass die ektopische Freisetzung eine Art „Überlaufventil“ darstellt, das Neuronen unter bestimmten Bedingungen nutzen. Es könnte aber auch einfach ein alternativer Weg der Signalübertragung sein, den die Synapsen an bestimmten Punkten ihres Lebenszyklus nutzen. Sejnowski und sine Kollegen wollen dieser Frage demnächst weiter nachgehen.

„Obwohl wir davon überzeugt sind, dass die ektopische Freisetzung existiert, wird es Zweifel und Widerstände geben, wie immer, wenn man ein etabliertes Konzept in Frage stellt“, erklärt Sejnowski, der die Untersuchungen nun auch anderen Synapsentypen wiederholen will. „Daher werden wir dieses neue Bild der Synapse weiterentwickeln um auch die Zweifler zu überzeugen, denn es ist wirklich eine ganz andere Sichtweise auf die Funktion dieser Schaltstellen.“

(Howard Hughes Medical Institute, 18.07.2005 – NPO)

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