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Umwelt

Radioaktives Ruthenium über Europa

Vorübergehend erhöhte Werte von Ruthenium-106 sprechen für Atomzwischenfall in Russland

Die Messwerte und eine Wettersimulation sprechen für eine Freisetzung des Rutheniums-106 am Ural. © IRSN

Gab es einen Atomunfall in Russland? Vor rund einem Monat haben Messstellen über Europa auffallend erhöhte Werte des radioaktiven Isotops Ruthenium-106 registriert. Nähere Analysen ergaben nun, dass die Quelle dieser Kontamination in Russland lag – möglicherweise in einer Wiederaufbereitungsanlage am Ural. Die Rutheniumwerte waren in Europa jedoch nicht hoch genug, um gesundheitsschädlich zu sein, inzwischen sind keine erhöhten Werte mehr nachweisbar.

Ruthenium-106 ist ein radioaktives, in der Natur nicht vorkommendes Isotop des Elements Ruthenium. Es entsteht bei der Spaltung von Uran-235 in Kernkraftwerken, aber auch bei der Wiederaufbereitung von Kernbrennstäben. Weil das Ruthenium-106 bei seinem Zerfall sowohl Beta- als auch Gammastrahlung freisetzt, gilt es als giftig und krebserregend, wenn es in höheren Konzentrationen aufgenommen wird.

Auffallend erhöhte Werte

Wie Messungen enthüllten, muss es Ende September zu einer Freisetzung von größeren Mengen Ruthenium-106 in Russland gekommen sein. Bereits am 29. September registrierten erste Messstellen in Italien, Frankreich und auch in Deutschland erhöhte Werte dieses Radionuklids. Der mit 0,15 Becquerel pro Kubikmeter Luft höchste Wert wurde in Rumänien gemessen, an den meisten anderen Messpunkten erreichten die Werte nur einige Dutzend Mikrobecquerel.

In Deutschland lag die Konzentration des radioaktiven Stoffs nach Angaben des Bundesamts für Strahlenschutz zwischen wenigen Mikrobecquerel und wenigen Millibecquerel pro Kubikmeter. Bei dieser geringen Menge an Radioaktivität bestehe keinerlei Gesundheitsgefährdung für die Bevölkerung, heißt es in einer Stellungnahme. Die Grenzwerte für Lebensmittel liegen bei 1.250 Becquerel pro Kilogramm.

Seit dem 6. Oktober haben die Rutheniumwerte stetig abgenommen, inzwischen ist das Radionuklid über Europa nicht mehr nachweisbar, wie das französische Institut für Strahlenschutz und Nuklearsicherheit (IRSN) berichtet.

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Auch Luftmessstationen in Deutschland, hier die Station Schauinsland, registrierten erhöhte Rutheniumwerte. © BfS

Ursprung am Ural

Doch woher kam diese Wolke von Ruthenium-106? Hinweise darauf liefert nun ein Bericht des russischen Wetterdienstes Roshydromet. Demnach wurden Ende September stark erhöhte Werte des Radionuklids im Gebiet zwischen dem Ural und der Wolga gemessen. Auch Simulationen des IRSN sprechen dafür, dass die Quelle des Ruthenium-Kontamination in diesem Gebiet liegen muss.

Nach Schätzungen der Wissenschaftler könnten im südlichen Ural bis zu 300 Terabecquerel freigesetzt worden sein. Nach Angaben von Roshydromet lagen die Rutheniumwerte in der Nähe der Messstelle Argayash im Bezirk Tscheljabinsk zeitweilig rund 986 Mal höher als normal.

Zwischenfall in russischer Wiederaufbereitungsanlage?

Was war die Quelle? Weil neben Ruthenium-106 keine weiteren Radionuklide nachgewiesen wurden, gehen Forscher davon aus, dass die Kontamination nicht aus einem Atomunfall in einem Kernkraftwerk stammt. Auch ein Eintrag des Rutheniums in die Atmosphäre durch einen abgestürzten Satelliten mit Ruthenium-Thermogenerator wurde ausgeschlossen.

Die russische Wiederaufbereitungsanlage Mayak gilt als wahrscheinlichste Quelle der Kontamination. © scinexx

Am wahrscheinlichste Quell der Freisetzung gilt die russische Wiederaufbereitungsanlage Mayak. In ihr werden aus verbrauchtem Kernbrennstoff radioaktive Nuklide für Forschung und Atomindustrie wiedergewonnen. Diese Anlage liegt nur rund 30 Kilometer von der Messstelle Argayash entfernt – dem Messpunkt, der die höchste Radioaktivität registriert hatte.

Dementi von Rosatom

Allerdings: Die russische Atomenergie-Agentur Rosatom bestreitet einen Zwischenfall in Mayak. Die Strahlungswerte aller Objekte der russischen Nuklear-Infrastruktur seien innerhalb der Norm, hieß es in einer Stellungnahme. „Die von Roshydromet registrierte Kontamination mit Ruthenium-106 ist nicht mit den Aktivitäten in Mayak verknüpft“, so Rosatom.

Trotz dieses Dementis ist ein Zwischenfall in Mayak nicht unwahrscheinlich. Aus der Wiederaufbereitungsanlage ist bereits häufiger Radioaktivität freigesetzt worden. 1954 war die Anlage sogar Schauplatz des drittschwersten Atomunfalls der Geschichte. Bei einer Explosion wurden damals radioaktive Stoffe über eine Fläche von 20.000 Quadratkilometern freigesetzt, mehr als 200.000 Menschen wurden erhöhter Strahlung ausgesetzt.

Greenpeace Russland hat bereits angekündigt, der Sache nachgehen zu wollen. Die Umweltschutzorganisation forderte Rosatom auf, alle Ergebnisse zu Ereignissen in Mayak offenzulegen. „Greenpeace wird einen Brief an die Staatsanwaltschaft schicken und diese auffordern, eine Untersuchung zu einer potenziellen Vertuschung eines Nuklearunfalls zu eröffnen“, sagt Greenpeace in einer Stellungnahme.

(Institut de Radioprotection et de Sûreté Nucléaire (IRSN), Bundesamt für Strahlenschutz, Roshydromet, 22.11.2017 – NPO)

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