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Astronomie

Urknall kein einmaliges Ereignis?

Physiker stellen gewagte Hypothese auf

Der Urknall ist vielleicht weitaus weniger einmalig als bisher angenommen. Stattdessen könnte er ein normales Ereignis im Verlauf der Evolution des Universums sein, das wiederholt über unvorstellbar große Zeiträume hinweg geschieht. Diese unkonventionelle These vertreten jetzt zwei amerikanische Physiker.

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“Wir wollen sagen, dass der Big Bang nichts Ungewöhnliches in der Geschichte unseres Universums darstellt”, erklärt Sean Carroll, Assistenzprofessor an der Universität von Chicago. Er und seine Mitarbeiterin Jennifer Chen stellten sich in ihren Forschungen zwei ehrgeizige Fragen: Warum fliegt die Zeit nur in eine Richtung und könnte ein Urknall, der aus einer Energiefluktuation im leeren All entstanden ist, dennoch mit den bekannten Gesetzen der Physik übereinstimmen?

Die Frage nach dem „Zeitpfeil“ beschäftigt Physiker seit mehr als einem Jahrhundert, denn, so Carroll: „Größtenteils unterscheiden die fundamentalen Gesetze der Physik nicht zwischen Vergangenheit und Zukunft. Sie sind zeitsymmetrisch.“ Eng verbunden mit diesem Problem ist das Konzept der Entropie, einem Maß für die Unordnung im Universum. Wie der Physiker Ludwig Boltzmann Anfang des 20. Jahrhunderts zeigte, nimmt die Entropie in der Natur mit der Zeit zu. „Man kann ein Ei in ein Omelett verwandeln, nicht aber ein Omelett in ein Ei“, erläutert Carroll.

Aber die Frage blieb bis heute, warum die Entropie zu Beginn des Universums so niedrig war. Jetzt haben Carroll und Chen einen Versuch unternommen, die Antwort zu finden, bei der sie Annahmen ausgehen, die denen ihrer Kollegen entgegengesetzt sind: „Wir postulieren, dass die Entropie im Universum nicht endlich sondern unendlich ist. Sie könnte für immer zunehmen,“ so Chen.

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Um zu erklären, warum das Universum heute so ist wie es ist, müssen alle Theorien die Inflation, die starke Ausdehnung des Alls unmittelbar nach dem Urknall mit einberechnen. Aber mit diesem Szenario gibt es ein Problem, ein „Skelett im Wandschrank“, wie Carrol es ausdrückt. Um mit der Inflation zu beginnen muss das Universum einen mikroskopisch kleinen Raum in extrem unwahrscheinlicher Konfiguration eingenommen haben – einem Zustand, wie er bei einer zufälligen Anfangsbedingung, wie sie postuliert wird, widerspricht. Denn bei einer endlichen Entropie müssten die Moleküle des Universums plötzlich von einem Zustand hoher Entropie in einen niedriger „Unordnung“ umschwenken.

Während einige Physiker davon ausgehen, dass eine zufällige Fluktuation die Inflation ausgelöst haben könnte, argumentieren Carrol und Chen dagegen: „Die Bedingungen für eine Inflation entstehen nicht einfach so. Es gibt die Ansicht, dass es einfacher wäre, gleich unser Universum aus einer zufälligen Fluktuation entstehen zu lassen anstatt erst über den Umweg einer Inflation.“

Das Szenario der beiden Physiker wurde inspiriert von der Entdeckung der dunklen Energie im Jahr 1998 und der daraus resultierenden Annahme, dass das Weltall wegen dieser Kraft durchaus für immer expandieren könnte. „Geht man von diesen Bedingungen aus, ist das Universum in seinem natürlichen Zustand nahezu leer“, erklärt Carroll. „In unserem jetzigen Universum wächst die Entropie, das Ganze dehnt sich aus und wird immer leerer.“

Aber selbst leerer Raum besitzt kleinste Spuren von Energie, die auf der subatomaren Ebene fluktuieren. Wie schon zuvor von spanischen und amerikanischen Physikern postuliert, können diese Fluktuationen in winzigen Räumen des Alls ihre eigenen kleinen „Bigbangs“ auslösen. Carroll und Chen haben diese Idee aufgegriffen, aber dramatisch erweitert: Sie schlagen vor, dass genau diese Bigbangs in der fernen Vergangenheit auch eine Art „umgekehrter Inflation“ ausgelöst haben könnten, bei der aus unserer Perspektive gesehen, die Zeit scheinbar rückwärts ablief.

Doch unabhängig von der Richtung, in der sich die dabei neu entstehenden Mini-Universen entwickeln, sollen auch sie nach Ansicht der Forscher dem Prozess der zunehmenden Entropie unterliegen. In diesem unendlichen Kreislauf könne das All niemals ein Gleichgewicht erreichen, denn wenn dies geschehe, würde nichts mehr passieren. Es gäbe keinen Zeitpfeil. „Es gibt keinen Status der maximalen Entropie, den man erreichen könnte“, erklärt Carroll. „Entropie ist immer steigerbar durch die Entstehung eines neuen Universums und seiner Ausdehnung und Abkühlung.“ Ob diese gewagte These eines Tages belegt werden kann, ist allerdings noch offen.

(University of Chicago, 29.10.2004 – NPO)

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