Es ist nur drei Millimeter groß, aber 425 Millionen Jahre alt: Drakozoon – das weltweit einzige Fossil eines frühen Mehrzellers. Jetzt haben britische Forscher seine Anatomie mit Hilfe einer gewagten Schnittmethode und einem dreidimensionalen Modell rekonstruiert. Die in der Fachzeitschrift „Biology Letters“ veröffentliche Rekonstruktion gibt erstmals einen Einblick in die Morphologie dieser frühen Mehrzeller und in ihre Lebensweise.
Eine Kalksteinformation im britischen Herefordshire gehört zu den reichhaltigsten Lagerstätten von Fossilien aus der Frühzeit des Lebens. In der sehr feinkörnigen Vulkanasche der „Wenlock Series“ sind Relikte aus der Zeit von vor 420 Millionen Jahren so gut konserviert, dass selbst Weichteile und zarte Chitinpanzer als Abdrücke erhalten blieben. Vor sechs Jahren stieß ein Forscher des Imperial College London hier bei Ausgrabungen auf ein einzigartiges Fossil: den weltweit einzigen Vertreter von Drakozoon, einem frühen Mehrzeller.
Schichtweise abgeschliffen und fotografiert
Das aus dem Silur stammende, nur drei Millimeter große Fossil war allerdings so ins Gestein eingebettet, dass es kaum etwas über seine Körperstruktur enthüllte. Ein Forscherteam um Mark Sutton, Experte für dreidimensionale Rekonstruktionen von Fossilien am Imperial College London, hat nun eine gewagte Methode gewählt, um mehr über das Innenleben und die Morphologie von Drakozoon zu erfahren:
Die Wissenschaftler spannten das Fossil ein und schliffen vorsichtig Mikromillimeter für Mikromillimeter des Gesteins samt Fossil ab. Jede neu freigelegte Schicht wurde dabei mit Hilfe digitaler Aufnahmetechniken fotografisch festgehalten, so dass am Ende 200 Schichtbilder existierten, aus denen per Computer ein dreidimensionales Modell zusammengesetzt werden konnte.
Kapuze und Umhang aus ledriger Haut
Das Modell enthüllt, dass Drakozoon einen kegelförmigen Rumpf mit vermutlich ledriger Außenhaut besaß. Ein kapuzenartiger Hautlappen reichte bis über seinen Kopf und diente vermutlich dem Schutz gegen Fressfeinde. „Spannenderweise bringt unser 3D-Modell eine Kreatur zurück, von dem bis vor kurzem niemand überhaupt wusste, dass sie existiert”, erklärt Sutton. „Es liefert uns ein Fenster in das Leben des Drakozoon. Wir glauben, dass dieser winzige Glibber-Klecks überlebte, indem er sich an Gestein und hartschalige Lebewesen anheftete und mikroskopisch kleine Nahrungsbröckchen aus dem Meerwasser sammelte.“ Tatsächlich wurde das Fossil direkt an der versteinerten Schale eines frühen Krebses entdeckt.
Kerben als Relikt von Segmenten?
Die Rekonstruktion trägt auch dazu bei, eine seit langem anhaltende Debatte über die Anatomie der ersten Mehrzeller beizulegen. Während einige Wissenschaftler annehmen, dass die Körper der ersten mehrzelligen Tiere aus wiederholten Segmenten, ähnlich wie die eines Tausendfüßlers, bestanden, gehen andere davon aus, dass die Körperform freier, eher wurmähnlich strukturiert war.
Das 3D-Modell des Drakozoon enthüllt acht tiefe Einkerbungen auf beiden Seiten seines Rumpfes. Nach Ansicht von Sutton und seinen Kollegen könnte dies ein genetisches Relikt aus einer früheren Zeit sein, in der Drakozoon noch einen segmentierten Körper besaß. „Indem wir diesen primitiven Organismus betrachten, kommen wir dem Verständnis näher, wie die ersten Lebewesen auf der Erde ausgesehen haben könnten“, so der Forscher.
(Imperial College London, 06.08.2010 – NPO)