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Schrille Töne im Konzert der Neuronen

Die Schmerzverarbeitung im Gehirn

Für alle Schmerzreize, ob langsam oder schnell, ist der im Zwischenhirn liegende Thalamus die erste Anlaufstation: Als zentraler „Verteiler“ filtert er Wichtiges von Unwichtigem und leitet die Schmerzreize an verschiedene Bereiche des Gehirns weiter. Lange Zeit galt er als der letzte bekannte Anlaufpunkt auf der „Spur der Schmerzen“, dahinter begann die „Terra incognita“.

Erst in jüngster Zeit haben neue bildgebende Verfahren den Blick ins arbeitende Gehirn möglich gemacht und gezeigt, wo und auf welche Weise der Schmerz verarbeitet wird. Klar geworden ist dabei vor allem Eines: Schmerz ist nicht das Produkt eines einzelnen Schmerzzentrums, sondern eine Wahrnehmung, die erst aus der Interaktion vieler unterschiedlicher Gehirnbereiche entsteht. Wie bei einem Symphoniekonzert macht dabei erst der Zusammenklang der verschiedenen „Instrumente“ die Musik…

Ortung auf der „Landkarte des Gehirns“

Schmerzverarbeitung im Gehirn © MMCD

Vom Thalamus aus geht ein erstes Signal in den somatosensorischen Kortex, den für Sinnesreize zuständigen Teil des Großhirns. Hier wird jeder Körperteil durch einen bestimmten Gehirnbereich abgebildet. Wie in einer Landkarte liegt hier die Hand neben dem Arm, gefolgt von Schulter, Rücken oder Brust. Je empfindlicher und dichter mit Sinnenszellen besetzt ein Körperteil ist, desto größer ist der Raum, den er in dieser „Landkarte des Gehirns“ einnimmt.

Um den Schmerz genau zu orten, vergleicht das Gehirn die Aktivitätsmuster der einzelnen Bereiche und der beiden Körperseiten. Außerdem misst es, wie und wie stark es an diesem Ort schmerzt. Sind diese „Eckdaten“ erfasst, werden sie an die nächste Station weitergereicht: das Limbische System.

Gefühlscocktail und Herzrasen

In der Mitte unseres Gehirns, über dem Balken, der beide Hemisphären verbindet, liegt der Sitz unserer Gefühle, das Limbische System. Schreck, Angst, Trauer oder Wut haben hier ihren Ursprung und auch der Schmerz erhält hier seinen „emotionalen Stempel“. Bildgebende Verfahren haben gezeigt, dass dabei das Cingulum, ein sich von hinten nach vorne ziehendes schmales Band, eine entscheidende Rolle spielt.

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Das Limbische System mit dem Cingulum © MMCD

Schon rund 220 Millisekunden nach einer Verletzung trifft die Signalwelle hier ein und setzt die Gefühlskaskade in Gang. Nun entscheidet sich, ob wir den Schmerz nur als unangenehm und lästig oder aber als angsteinflößend oder sogar unerträglich empfinden. Gleichzeitig sorgt das Cingulum auch für eine direkte körperliche Reaktion: Unser Blutdruck steigt, das Herz rast und wir beginnen zu schwitzen. Ist der Schmerz extrem, wird uns sogar übel oder wir fallen in Ohnmacht.

Aufpasser im Stirnhirn

Eng mit dem Gefühlszentrum und dem somatosensorischen Kortex verbunden ist das Stirnhirn, der präfrontale Cortex. Es fungiert als „Aufpasser“ für unsere Gefühle. Fällt es aus, übernehmen die Emotionen die Herrschaft und wir agieren sie unkontrolliert aus, umgekehrt kann es auch jede Emotionalität blockieren.

In diesem Kontrollzentrum entscheidet sich, welche subjektive Bedeutung wir dem Schmerz beimessen und welche Maßnahmen wir ergreifen. Das Stirnhirn vergleicht dazu die einlaufenden Daten aus dem Limbischen System mit früheren Erfahrungen und Gefühlen und bewertet sie entsprechend: Handelt es sich vielleicht nur um eine Lappalie und ein Eisbeutel oder eine Aspirin reicht? Oder ist es so besorgniserregend, dass wir doch lieber gleich zum Arzt gehen sollten?

Auch das bewußte „Ausblenden“ von Schmerzen durch Ablenkung, Stress oder bloße Willenskaft, wie bei einem Fakir, hat hier seinen Ursprung. Das Stirnhirn beeinflusst diese subjektive Schmerzwahrnehmung, indem es die Schmerzreize schlicht „ignoriert“, sie werden – zumindest für den Moment – als nicht relevant angesehen und daher nicht verarbeitet oder weitergeleitet.

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Stand: 20.02.2004

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Schmerz
Alarmstufe Rot im Nervensystem

Die unentbehrliche Plage
Januskopf Schmerz

Signale auf der „Überholspur“
Wie kommt der Schmerz ins Gehirn?

Schrille Töne im Konzert der Neuronen
Die Schmerzverarbeitung im Gehirn

Einsatz für die „Schmerzpolizei“
Das körpereigene Hemmsystem

Jammerlappen und Abgestumpfte
Warum empfinden wir Schmerzen unterschiedlich stark?

Heulsusen und harte Kerle...
Frauen – das schmerzempfindlichere Geschlecht?

Wenn der Schmerz chronisch wird...
Die Entdeckung des Schmerzgedächtnisses

Volkskrankheit Schmerz
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