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Phänomene

Warum Dr. Barbie neue Berufe braucht

Barbie-Puppen stellen Ärzte und Wissenschaftler nicht realistisch dar

sechs Barbie-ähnliche Puppen in verschiedenen Outfits
Barbie hat viele Outfits und Berufe, aber geht damit nicht als echte Ärztin oder Wissenschaftlerin durch. © CSA Images / Getty Images

Schlechtes Zeugnis für Barbie und ihre „Arbeitgeber“: Die Kultpuppe kann heute aus einer Fülle an Berufen wählen, übt diese aber oft unprofessionell aus, zeigt eine Studie. Demnach erfüllt die Darstellung medizinischer und wissenschaftlicher Berufe in der Barbie-Welt häufig nicht die dort geltenden Standards. Insgesamt besetzt Barbie diese Professionen nicht realistisch und fachspezifisch genug, kritisiert eine Forscherin. Zum Beispiel haben Barbie-Ärztinnen oft kein Fachgebiet und keine adäquate Schutzausrüstung.

Barbie ist beliebt und nach wie vor Vorbild für viele junge Menschen. Kein Wunder, schließlich (über)erfüllt die Plastikpuppe nicht nur gängige Schönheitsideale, sondern legt auch eine beeindruckende Karriere in unzähligen Berufen hin, unter anderem als Bauarbeiterin, Lehrerin, Richterin, Wissenschaftlerin und Ärztin – für alles gibt es passende Accessoires. Dabei sieht sie stets adrett aus, trägt modische Kleidung und Accessoires, die oft auch den jeweiligen Job symbolisieren. Aber hat Barbie mehr auf dem Kasten als hübsch angezogen zu sein und stereotype Gegenstände zu tragen?

Welche Berufe übt Barbie aus?

Dieser Frage ist nun Katherine Klamer von der Indiana University in einer ironisch-ernsten Studie nachgegangen. Die Biochemikerin wollte wissen, welche medizinischen und wissenschaftlichen Berufe die Barbiepuppen genau abdecken und ob sie diese fachlich akkurat ausüben. Dafür analysierte sie deren Kleidung und Begleitgegenstände sowie die Verpackung und verglich Barbie mit anderen Puppen-Versionen dieser Berufsgruppen.

Grafik zeigt die untersuchten Barbies und andere Puppen mit medizinischen und wissenschaftlichen Berufen nach Erscheinungsjahr
Untersuchte Barbies und andere Puppen mit medizinischen und wissenschaftlichen Berufen nach Erscheinungsjahr. © Will Stahl-Timmins

Die älteste von Klamer untersuchte „Barbie“ von Mattel war Krankenschwester und wurde 1961 hergestellt. Die meisten Varianten dieser seit damals immer wieder abgewandelten Puppen sind weiterhin zu kaufen. Insgesamt inspizierte Klamer 92 Barbiepuppen – darunter 53 Ärztinnen, 15 Krankenschwestern, elf Zahnärztinnen, zehn Wissenschaftlerinnen, zwei Pädagoginnen für Naturwissenschaften und eine Sanitäterin – sowie 65 Puppen anderer Marken – darunter 27 Wissenschaftlerinnen, 26 Ärztinnen, sieben Krankenschwestern, je zwei Zahnärztinnen und Ingenieurinnen sowie eine MRT-Technikerin.

Barbie fehlt es an Expertise und Fachgebieten

Klamers erste Erkenntnis: Gleichstellungs- und Diversitätskriterien kannten Barbies „Arbeitgeber“ offenbar nicht. Ihrem Äußeren nach waren die untersuchten Barbies überwiegend erwachsen (98 Prozent), weiblich (93 Prozent) und weiß (59 Prozent). Keine von ihnen hatte eine körperliche Behinderung. Im Gegensatz dazu waren nur 32 Prozent der Karrierepuppen von anderen Herstellern weiß und eine von ihnen trug eine Armprothese, so Klamer. Insgesamt spiegelten andere Marken eine größere ethnische Bandbreite wider.

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Und auch die berufliche Expertise der Barbies wirft Fragen auf. So konnte Klamer nur drei Barbies als Augenärztinnen identifizieren. Die übrigen hatten entweder gar kein konkretes Fachgebiet oder waren Kinderärztinnen ohne weitere konkrete Spezialisierung, wie die Forscherin berichtet. Als Expertinnen gingen die Barbies damit meist nicht durch. Insgesamt behandelten die meisten der Barbies in medizinischen Berufen Kinder (66 Prozent), nur vier Prozent behandelten erwachsene Patienten. Damit zementieren diese Pupen eher gängige Klischees als sie zu durchbrechen.

Schwere Verstöße gegen Sicherheitsstandards

Um festzustellen, ob die Puppen wenigstens die Sicherheitsstandards von Krankenhäusern und Laboren erfüllen würden, bewertete Klamer zudem das persönliche Sicherheitszubehör der Barbies gemäß den Richtlinien der Indiana University. Das Ergebnis: Die Barbies trugen zwar häufig Berufskleidung wie Laborkittel und Schutzbrillen und brachten ihre Arbeitsgeräte wie Mikroskope, Bunsenbrenner, Blutdruckmessgeräte und Stethoskope mit.

Allerdings erfüllte keine Puppe vollständig die Sicherheitsstandards für ihren jeweiligen Beruf, bemängelt Klamer. In der echten Arbeitswelt riskierten die Barbies damit, sich zu verletzen oder zu infizieren. Beispielsweise waren 98 Prozent der Ärztinnen mit Stethoskopen ausgestattet, aber nur eine verfügte über eine Gesichtsmaske und keine einzige trug bei ihrer Arbeit Einweghandschuhe.

Kurze Röcke und High Heels

Etwa zwei Drittel der als Medizinerinnen und Wissenschaftlerinnen tätigen Barbies trugen außerdem ihr Haar offen sowie kurze Röcke oder Kleider und mehr als die Hälfte trug Schuhe mit hohen Absätzen, wie Klamer feststellte. Das war selbst dann der Fall, wenn die Puppen in Umgebungen wie Krankenhäusern und Laboren arbeiteten, in denen von diesem Kleidungsstil abgeraten wird oder er aus Sicherheitsgründen ausdrücklich verboten ist.

Keine einzige der untersuchten Barbie-Wissenschaftlerinnen erfüllte alle Anforderungen an die persönliche Schutzausrüstung in Bezug auf Haare und Kleidung, kritisiert Klamer. Dazu zählen beispielsweise auch flache, geschlossene Schuhe und lange Hosen sowie Laborkittel mit langen Ärmeln.

Allerdings ist Barbie damit kein Einzelfall: Der Vergleich mit anderen Karrierepuppen ergab, dass diese ähnlich wenige Fachgebiete repräsentierten wie die Barbies. Und auch die meisten Puppen anderer Hersteller trugen keine ausreichende Schutzkleidung, berichtet Klamer. Ausnahmen bildeten dabei Figuren von Lego und Playmobil, die die Sicherheitsstandards größtenteils erfüllten.

„Barbie muss gläserne Decken durchbrechen“

Um realistischere Vorbilder für Mädchen und damit künftige Fachkräfte zu generieren, fordert Klamer alle Spielzeugfabrikanten auf, akkuratere und beruflich vielfältigere Karrierepuppen herzustellen, die in der Wissenschaft oder Medizin arbeiten. „Um der jungen Mädchen und ihrer selbst willen muss Barbie weiterhin gläserne Decken durchbrechen“, sagt Klamer.

Demnach sollte Barbie erwägen, ihre medizinische und wissenschaftliche Karriere auf Bereiche auszudehnen, in denen Frauen und andere unterrepräsentierte Gruppen nach wie vor in der Minderheit sind. Klamer schlägt etwa vor, Barbie in der Epidemiologie, Forensik oder Biostatistik einzustellen und zugleich die Ausrüstung aller Barbies zu verbessern. „Dr. Barbie sollte modisch, aber auch sicher sein. Sie kann immer noch einen rosafarbenen Laborkittel tragen, sofern er bis zu den Handgelenken reicht“, so Klamer.

Diese Forderung trifft auf Zuspruch bei Medizinern. „Als Chirurgen in eindeutig männerdominierten Bereichen unterstützen wir Klamers Schlussfolgerung, dass Barbies ein vielfältigeres Feld medizinischer und wissenschaftlicher Berufe repräsentieren sollten und dass Sicherheit vor Mode geht“, schreiben Sareh Parangi und ihre Kollegen von der Harvard Medical School in einem begleitenden Kommentar zur Studie.

Barbie sollte Neurochirurgin oder Unfallchirurgin werden

Medizinstudentinnen würden immer noch unverhältnismäßig stark davon abgehalten, eine Karriere als Chirurgin anzustreben, erklären die Forschenden. Wenn Mädchen in ihrer Kindheit mit einer Neurochirurgin-Barbie oder einer Unfallchirurgin-Barbie spielen könnten, würde sie das möglicherweise widerstandsfähiger gegen sexistische Vorurteile und Ratschläge in Bezug auf ihre Karriere machen, hoffen die Mediziner.

„Mit einem erweiterten Sortiment können Barbies die Ansichten junger Mädchen über Chirurgen und Wissenschaftler inspirieren, anstatt diese Karrierewege abschreckend darzustellen. Wir beraten Mattel gerne, welche Begleitgegenstände und persönliche Schutzausrüstung eine neue Chirurginnen-Barbie braucht, damit die Puppe realistisch ist und Spaß macht“, fügen sie hinzu und präsentieren als Beispiel zwei Chirurginnen-Barbies mit selbstgenähter Arbeitskleidung. (The BMJ, 2023; doi: 10.1136/bmj-2023-077276; doi: 10.1136/bmj.p2781)

Quelle: BMJ-Weihnachtsausgabe

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