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Medizin

Neuer Antikörper gegen Alzheimer

Monoklonaler Antikörper Lecanemab reduziert Amyloid-Plaques und verlangsamt Demenz

Amyloid-PLaques
Ablagerungen verklumpter Amyloid-Proteine im Gehirn sind für die Alzheimer-Demenz typisch. Ein neues Antikörper-Präparat kann sie offenbar reduzieren. © National Institute on Aging/ NIH

Hoffnung für Demenzpatienten: Ein neuer monoklonaler Antikörper zeigt vielversprechende Wirkung gegen Alzheimer im Frühstadium. In einer klinischen Phase-3-Studie reduzierte das Präparat Lecanemab die schädlichen Amyloid-Plaques bei den Demenzpatienten und verlangsamte den geistigen Abbau um rund 27 Prozent, wie die Forschenden berichten. Wichtig auch: Schwere Nebenwirkungen wie Hirnblutungen und Ödeme traten deutlich seltener auf als bei zwei zuvor getesteten Antikörper-Präparaten gegen Alzheimer.

Die Alzheimer-Demenz ist bisher nicht heilbar: Der fortschreitende Abbau von Hirnzellen durch fehlgefaltete Amyloid- und Tau-Proteine lässt sich nicht aufhalten und auch kaum bremsen. Obwohl viele Wirkstoffe in Tierversuchen erfolgreich waren, schnitten sie in Tests beim Menschen meist enttäuschend ab. Sie konnten die Demenz nicht signifikant verlangsamen oder hatten zu starke Nebenwirkungen.

Antikörper
Monoklonale Antikörper zur Alzheimer-Therapie richten sich meist gezielt gegen die Amyloid-Plaques und ihre Vorformen. © wildpixel/ Getty images

Antikörper gegen die Demenz

Dies galt bisher auch für die neueste Hoffnung im Kampf gegen die Demenz: Antikörper. Diese im Labor hergestellten Immunproteine sind speziell daran angepasst, an den für Alzheimer typischen fehlgefalteten Proteinen anzudocken und sie zu zerstören. Tatsächlich haben Antikörper-Präparate wie Aducanumab, Donanemab oder Gantenerumab in klinischen Studien erste positive Effekte auf die Amyloid-Plaques von Alzheimer-Patienten gezeigt.

Das Problem jedoch: Diese Antikörper verringerten in klinischen Studien zwar die Amyloid-Plaques, schafften es aber oft nicht, auch die Demenz zu verlangsamen. Zudem haben alle Antikörper-Präparate erhebliche und teils schwerwiegende Nebenwirkungen: Sie verursachen Hirnödeme und Mikroblutungen, die im Extremfall sogar zu Todesfällen führten. Weil Nutzen und Risiken nicht im Verhältnis stehen, lehnte die europäische Arzneimittelbehörde EMA erst kürzlich die Zulassung des Antikörper-Präparats Aducanumab ab.

Phase-3-Stude für Antikörper Lecanemab

Doch jetzt gibt es neue Hoffnung: Ein Team um Christopher van Dyck von der Yale School of Medicine in New Haven hat einen weiteren Antikörper gegen Alzheimer entwickelt., der nun in einer klinischen Phase-3-Studie erfolgreich war. Das Präparat Lecanemab enthält monoklonale Antikörper, die gezielt gegen Amyloid-Beta-Protofibrillen gerichtet sind. Diese fädigen, fehlgefalteten Proteine gelten als frühe Vorstufe zu den größeren Amyloid-Plaques.

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Für die Studie erhielten 1.785 Alzheimer-Patienten mit milder Demenz alle zwei Wochen eine Infusion mit den Lecanemab-Antikörpern oder ein Placebo. Über 18 Monate hinweg untersuchten die Forschenden mehrmals die Dichte und Mengen der Amyloid-Ablagerungen im Gehirn der Testpersonen mittels Positronen-Emissions-Tomografie (PET). Außerdem wurden alle Patienten zu Beginn der Studie und danach in regelmäßigen Abständen verschiedenen standardisierten Tests ihrer geistigen Leistungen unterzogen.

Weniger Plaques und verlangsamte Demenz

Das Ergebnis: Im Laufe der 18-monatigen Behandlung entwickelten die mit dem Antikörper behandelten Patienten signifikant weniger Amyloid-Plaques im Gehirn als die Kontrollgruppe. Ihr geistiger Abbau verlangsamte sich zudem um 0,45 Punkte auf der 18-stufigen Messskala des sogenannten CDR-SB-Score. Dies entspricht einer Verlangsamung der Demenz um im Schnitt 27 Prozent, bei Aktivitäten des täglichen Lebens sogar um 37 Prozent, wie van Dyck und sein Team berichten.

„Von den drei Antikörpern Aducanumab, Gantenerumab und Lecanemab zeigt die vorliegende Studie zu Lecanemab die klarste Evidenz für eine Wirksamkeit“, kommentiert der nicht an der Studie beteiligte Demenzforscher Stefan Teipel vom Deutschen Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen (DZNE). „Insgesamt ist es eine sehr ermutigende Studie.“ Zwar merke der Patient von dieser Wirkung im Alltag wahrscheinlich zunächst nur wenig.

„Allerdings muss man da auch einen längeren Zeitraum bedenken: Wenn der Effekt persistiert, würde die Differenz über die Zeit noch weiter auseinandergehen und relevanter werden.“ Tatsächlich zeigte sich im Verlauf der 18-monatigen Studie, dass die Unterschiede zur Placebogruppe mit der Zeit immer größer wurden.

Geringere Nebenwirkungen als frühere Antikörper

Entscheidend für eine mögliche Zulassung sind jedoch auch die Nebenwirkungen. Ähnlich wie bei früheren Antikörper-Präparaten traten auch bei Lecanemab überschießende Immunreaktionen direkt nach der Infusion auf, die aber meist vorübergehend und nicht schwerwiegend und vorübergehend waren. Allerdings gab es auch bei Lecanemab Fälle von Hirnödemen und Mikroblutungen. Ihre Häufigkeit lag bei 21,3 Prozent, wie die Wissenschaftler berichten. Der größte Teil davon verursachte aber keine Symptome und war nur mittels Hirnscan nachweisbar.

Insgesamt verursacht Lecanemab damit offenbar weniger Hirnödeme und Mikroblutungen als die zuvor getesteten Antikörper-Präparate. „Insgesamt ist die Inzidenz solcher ARIA bei Lecanemab im Vergleich zu anderen Antikörpern niedrig. Dieses im Vergleich niedrige Risiko wirkt sich günstig auf das Nutzen-Risiko-Verhältnis von Lecanemab aus“, kommentiert der Neurologe Jörg Schulz von der Uniklinik der RWTH Aachen.

Auf dem Weg zur Zulassung?

Was aber bedeuten diese Ergebnisse für eine mögliche Zulassung von Lecanemab als Alzheimer-Medikament? Normalerweise ist eine Phase-3-Studie der letzte Schritt vor einem entsprechenden Antrag. Allerdings zeigen sich van Dyck und sein Team in dieser Hinsicht vorsichtig: Sie empfehlen, zunächst noch weitere, längerdauernde Untersuchungen durchzuführen. „Wenn ich diesen Satz jedoch wörtlich nehme, würde das heißen: Mit dieser Studie können wir noch keine Zulassung beantragen“, kommentiert Teipel.

Demgegenüber hält Schulz es für durchaus möglich, dass Lecanemab demnächst in ein Zulassungsverfahren geht. „Die Daten sind so überzeugend und konsistent und die berichteten Nebenwirkungen vergleichsweise gering, dass es (hoffentlich) keinen Zweifel an einer positiven Entscheidung geben kann“, so Schulz. Ob das Forschungsteam dies genauso sieht und einen Antrag auf Zulassung stellt oder ob noch gewartet wird, bleibt jedoch vorerst offen.

„Zeitenwende“ für Antikörper-Therapien gegen Alzheimer

Doch unabhängig davon markiert das neue Antikörper-Präparat einen Fortschritt in dieser noch jungen Form der Alzheimer-Therapie, wie auch Christian Haass von der Ludwig-Maximilians-Universität München findet: „Auch wenn der Begriff momentan vielleicht zu häufig verwendet wird: Diese Ergebnisse markieren eine Zeitenwende.“ Denn sie zeigen, dass neuere Antikörper-Therapien dem Ziel näher kommen, die Amyloid-Plaques zu zerstören und die Demenz zu bremsen.

Die Studienautoren und auch die kommentierenden Forscher sehen den wesentlichen Fortschritt darin, dass Lecanemab nicht gegen die fertigen Amyloid-Plaques gerichtet ist, sondern schon an deren Vorläufern, den Protofibrillen ansetzt. Diese fehlgefalteten Beta-Amyloid-Fädchen gelten als besonders zellschädigend und tragen wahrscheinlich auch zur Ausbreitung der Demenz im Gehirn bei.

„Es ist recht wahrscheinlich, dass Frühformen der Alzheimer-Plaques den Schädigungsprozess an den Nervenzellen und damit die Alzheimer-Krankheit auslösen“, erklärt der nicht an der Studie beteiligte Neurologe Walter Schulz-Schaeffer vom Universitätsklinikum des Saarlandes in Homburg. „Die Plaques seien dagegen Ausdruck des erfolgreichen Entsorgungsprozesses der schädigenden Frühformen und sollten deshalb besser in Ruhe gelassen werden. (New England Journal of Medicine, 2022; doi: 10.1056/NEJMoa2212948)

Quelle: New England Journal of Medicine, Science Media Center

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