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Medizintechnik

Grippe-Simulator sagt Verlauf von Epidemien voraus

ExploSYS berechnet Ausbreitung von Infektionskrankheiten

Forscher der Firma ExploSYS haben einen Grippesimulator entwickelt, der die Ausbreitung von Infektionskrankheiten exakt vorhersagen kann. Das Modellierungsverfahren berücksichtigt sämtliche Einflussfaktoren wie Alter, Kontaktverhalten oder die Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe, gleichzeitig lassen sich aber auch Veränderungen der Verbreitung durch Maßnahmen wie Impfung, Quarantäne oder Prophylaxe darstellen. Der Simulator, der den Verlauf für ganze Städte und Regionen realistisch abbildet, kann selbst Krankenhäuser oder Flughäfen massiv dabei unterstützen, exakte Notfallpläne zu erstellen oder vorhandene zu optimieren.

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Zuerst Asien, dann Türkei, Kroatien, Großbritannien, Frankreich – die gefährliche Vogelgrippe rückt näher. Die beiden Tübinger Unternehmer und Wissenschaftler Markus Schwehm und Martin Eichner meinen jedoch, es sei Unsinn, Panik zu schüren. „Damit aber die Verantwortlichen im Notfall schnell die richtigen Entscheidungen treffen können, brauchen wir gesichertes Datenmaterial, realistische Simulationen und klare Aussagen“, erklärt der Modellierungsexperte Schwehm.

Daten, die ExploSYS gewinnt, sind einerseits der engen Zusammenarbeit mit anderen wissenschaftlichen Disziplinen zu verdanken, andererseits werden sie von einem leistungsfähigen Computerprogramm generiert, das problemlos die komplexe Situation einer Großstadt simulieren kann. Um gesicherte Aussagen über den Verlauf von Infektionskrankheiten machen zu können, werden Biologen, Mediziner, Epidemiologen, Informatiker und Statistiker gleichermaßen einbezogen.

Eichner beschäftigt sich seit Jahren mit Fragen zur Ausbreitung von Krankheiten wie SARS, Pocken und Malaria. Der Mathematiker Schwehm arbeitet ebenfalls seit Jahren an der Planung und Optimierung von Interventionsstrategien bei Infektionskrankheiten. „Erst als wir vor drei Jahren begonnen haben, zusammen zu arbeiten, haben wir Lösungen gefunden, die jeder von uns allein nie hätte finden können“, beschreibt Eichner die Qualität dieser in der BioRegion STERN gar nicht mal so außergewöhnlichen – interdisziplinären – Zusammenarbeit.

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ExploSYS berechnet auch Pandemien

Das aktuelle Ergebnis ist ein Simulator, der in kürzester Zeit den Verlauf von Infektionskrankheiten berechnen kann – auch den einer möglicherweise in naher Zukunft ausbrechenden Grippe-Pandemie. Da das Programm mit über 50 Stellgrößen – Parametern wie Alter, Kontaktverhalten und Risikopotenzial der Personen, aber auch Art der Infektion und Ansteckungszeit – arbeitet, kann es sehr schnell an die heute noch nicht bekannten Eigenschaften eines neuen Erregers angepasst werden. Den Einsatzkräften in Krankenhäusern oder Flughäfen, also Orten an denen ein erstes Identifizieren von Epidemien vermutet werden kann, hilft vor allem die Möglichkeit, die verschiedenen Notfallpläne „durchzurechnen“.

Ob Prophylaxe, Impfung oder Quarantäne – im Zusammenhang mit der Vogelgrippe wird in allen Medien mehr oder weniger kompetent über die Wirksamkeit dieser Maßnahmen spekuliert. Die Medien selbst, deren Berichterstattung durchaus Einfluss auf das Verhalten von Menschen während einer Pandemie hat, fließen als Faktor in die Berechnungen ein. „Wenn die Leute in der Zeitung lesen, dass bereits 100 gestorben sind, dann werden sie ihr Verhalten ändern und zuhause bleiben“, erklärt Schwehm. „Damit werden Kontakte vermieden und die Verbreitung der Infektion verlangsamt sich.“

Sämtliche Maßnahmen und ihre Wirksamkeit genau zu analysieren, kann im Notfall überlebenswichtig sein, weiß Eichner: „Der Impfstoff gegen die Variante der Vogelgrippe, die Menschen befallen könnte, lässt sich erst nach einem Ausbruch der Krankheit herstellen, aber dann dauert es Monate, bis große Mengen davon produziert werden können. Wenn es nicht gelingt, den Ausbruch der Grippe im Ursprungsland bereits im Keim zu ersticken, dann geht es zumindest darum, den Ausbruch so lange zu verzögern, bis für möglichst viele Menschen Impfstoff verfügbar ist.“

Wissenschaftliche Fakten statt Panik

Es zeigt sich, wie notwendig eine unaufgeregte, sachliche Herangehensweise an das Thema Pandemie ist. Immer wieder wird beispielsweise in den Medien der Ruf nach einer Prophylaxe mit antiviralen Medikamenten für die gesamte Bevölkerung laut; ein Irrglaube, wie Eichner erläutert: „Jeder Mensch müsste Wochen lang dieses Medikament nehmen. Das wäre schlicht und einfach nicht bezahlbar. Mit dem ExploSYS-Modell lässt sich jedoch schnell feststellen, dass eine generelle Prophylaxe ineffektiv ist, wohingegen ein vernünftig definiertes Maßnahmenbündel, inklusive gezielter Prophylaxe von Risikopersonen, erfolgreich sein könnte.“

Der Simulator von ExploSYS hilft, unter Berücksichtigung der beschränkten Ressourcen, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Sollen Schulen geschlossen werden? Wer muss bzw. wie viele müssen geimpft werden? Sollen die Grenzen dicht gemacht werden? „Wir erleben immer wieder, dass die Verantwortlichen beim interaktiven Arbeiten mit unserem Programm nicht nur die richtigen Fragen stellen. Vielmehr werfen die sofort visuell aufbereiteten Simulationsergebnisse neue Fragen auf und ermöglichen es, die Konsequenzen zu Ende zu denken. Am Ende dieses kreativen Prozesses stehen immer wieder überraschende Erkenntnisse und neuartige Ansätze“, sagt Schwehm.

Noch ist die Pandemie nicht ausgebrochen, es ist aber an der Zeit auf alles vorbereitet zu sein. „Fachleute rechnen seit Jahrzehnten mit einer Grippe-Pandemie, dem diffusen Panikgefühl in der Bevölkerung müssen klare wissenschaftliche Fakten entgegen gesetzt werden“, fordern Schwehm und Eichner. „Wir hoffen sehr, dass unser Simulator dazu beitragen wird, dass wir in Zukunft besser für den Notfall vorbereitet sind“, so Schwehm weiter.

(idw – Verein zur Förderung der Biotechnologie, 09.11.2005 – DLO)

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