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Medizin

Corona: Variante B.1.617 breitet sich auch in Europa aus

Was weiß man bisher über die indische Variante des Coronavirus?

B.1.167
Bisher kennt man die Eigenschaften der in Indien zuerst nachgewiesenen Variante B.1.167 von SARS-CoV-2 nur in Ansätzen. © 4X-image/ Getty images

Rasante Ausbreitung: Die zuerst in Indien nachgewiesene Coronavirus-Mutante B.1.617 kommt inzwischen in 40 Ländern vor – auch in Deutschland. Hierzulande liegt ihr Anteil zwar erst bei zwei Prozent, nimmt aber weiter zu, wie das Robert-Koch-Institut meldet. Forscher gehen davon aus, dass diese Variante von SARS-CoV-2 infektiöser sein könnte als die bisher bekannten, möglicherweise auch etwas pathogener. Bisher deutet aber alles darauf hin, dass die Impfstoffe weiterhin wirksam sind.

Je mehr Menschen weltweit mit dem Coronavirus infiziert wurden, desto häufiger kommt es auch zu Mutationen des Erregers. In einigen Fällen entstehen dabei Varianten, die besser übertragbar sind und gegenüber dem Wildtyp von SARS-CoV-2 Konkurrenzvorteile haben. Im Verlauf der Corona-Pandemie hat dadurch zuerst die D614G-Variante weltweit durchgesetzt, Anfang 2021 begann dann die „britische “ Mutante B.1.1.7 ihren Siegeszug. Sie macht inzwischen auch in Deutschland gut 90 Prozent aller Fälle aus.

Schnelle Ausbreitung auch außerhalb Indiens

Jetzt sorgt eine weitere Variante von SARS-CoV-12 für Schlagzeilen: B.1.167. Dieser auch irreführenderweise als „Doppelmutante“ bezeichnete Virentyp entstand bereits im Dezember 2020 im Norden Indiens und hat sich seither rasant ausgebreitet. Sein Anteil liegt in Indien bei mindestens 60 Prozent. Wegen der dort gleichzeitig stark ansteigenden Fallzahlen besteht der Verdacht, dass dies zumindest zum Teil auf eine höhere Infektiosität dieser Coronavirus-Variante zurückzuführen sein könnte.

Die Variante B.1.617 wurde bereits in mehr als 40 Ländern nachgewiesen, darunter in den USA, in Großbritannien und anderen Ländern Europas. Dabei verbreitet sich vor allem die Untervariante B.1.617.2 in Europa besonders schnell: In Großbritannien macht sie bereits fünf Prozent aller sequenzierten Virusproben aus, ihr Anteil hat sich dort trotz sinkender Gesamtfallzahlen wöchentlich verdoppelt. Wegen dieses steilen Anstiegs wurde diese Coronavirus-Variante dort am 6. Mai offiziell zur „Variant of Concern“ (VOC) erklärt.

Erste Zunahmen auch in Deutschland

In Deutschland liegt der Anteil von B.1.617 nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) bei rund zwei Prozent. „Damit ist der Anteil von B.1.617 bereits höher als von den Varianten, die zunächst in Südafrika oder Brasilien nachgewiesen worden waren“, sagt Joachim Schultze, Koordinator der Deutschen COVID-19 OMICS Initiative. Zudem nimmt auch hierzulande der Anteil der indischen Varianten in ähnlich hohem Tempo zu wie in Großbritannien.

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Das könnte darauf hindeuten, dass die indische Variante von SARS-CoV-2 tatsächlich infektiöser ist. „Dies lässt darauf schließen, dass diese Variante gegenüber anderen einen Vorteil bei der Ausbreitung hat und deshalb muss angenommen werden, dass sie, ähnlich wie in Indien, andere Varianten verdrängen wird“, sagt Schultze. Ob sich B.1.617 auch gegenüber der britischen Variante B.1.1.7 durchsetzen wird, ist bisher noch unklar. Letztere macht in Deutschland noch immer rund 92 Prozent der Fälle aus.

B.1.617 trägt Mutationen für bessere Übertragbarkeit

Nach bisherigen Erkenntnissen ist B.1.617 durch 15 Mutationen in seiner RNA gekennzeichnet, davon sechs am Bauplan des Spike-Proteins. Eine davon ist die schon von der kalifornischen Variante bekannte Mutation L452R. Sie verbessert die Bindung des Coronavirus an den ACE2-Rezeptor und macht es dadurch infektiöser: „Diese Mutation ist mit einer erhöhte Viruslast und einer um rund 20 Prozent erhöhten Übertragbarkeit verbunden“, erklären Isabella Ferreira von der University of Cambridge und ihre Kollegen.

Zusätzlich ist bei B.1.617 eine Aminosäure an Position 484 des Spike-Proteins ausgetauscht. Diese E484Q-Mutation ähnelt der E484K-Mutation der südafrikanischen Variante B.1.135 und der brasilianischen Variante P.1. Bei diesen trägt die Mutation E484K dazu bei, die Bindung von Antikörpern an das Coronavirus zu hemmen. In Labortests verringerte sich die neutralisierende Wirkung von Antikörpern aus den Blutseren Geimpfter und Genesenen auf nur noch ein Zehntel. Diese Mutation gilt daher Indiz für eine beginnende „Immunflucht“ des Virus.

Allerdings: Entgegen früheren Befürchtungen gibt es keine Hinweise darauf, dass diese „Doppelmutation“ zu addierten Effekten führt, wie Ferreira und ihr Tema berichten. In ihren Zellkulturtests verringerten beide Mutationen die Antikörper-Wirksamkeit einzeln genau so stark wie gemeinsam.

Mehr Zellfusionen durch Mutante P681R

Doch bei B.1.617 kommt eine weitere, potenziell bedeutsame Mutation hinzu: Bei dieser Virusvariante ist auch eine Aminosäure an Position 681 des Spike-Proteins ersetzt. In ihren Versuchen stellten Ferreira und ihre Kollegen fest, dass die indische Variante dadurch die infektionsbedingte Zellfusion verstärkt. Dabei bringt der Kontakt mit dem Spike-Protein die Membranen benachbarter Zellen dazu, sich zu öffnen und miteinander zu verschmelzen. Als Folge entstehen deformierte Riesenzellen, sogenannte Syncytien, was zum Zelltod führt und erhebliche Gewebeschäden verursacht.

Sollte die Variante B.1.617 tatsächlich vermehrt zu solchen Syncytien führen, könnte dies einen schwereren Krankheitsverlauf begünstigen. Noch allerdings gibt es dafür keine eindeutigen Belege. „Dies bedarf weiterer funktioneller Untersuchungen und deren Validierung durch andere Laboratorien“, erklärt auch Schultze.

Impfstoffe bleiben wirksam

Beruhigend immerhin: Bislang deutet alles daraufhin, dass die gegen das Coronavirus zugelassenen Impfstoffe auch gegen die indischen Variante wirken. In Labortests konnten die Blutseren von Menschen, die mit dem mRNA-Impfstoff von BioNTech/Pfizer geimpft worden sind, auch die Viren der Variante B.1.617 noch effektiv neutralisieren. Ähnliches ergaben Tests mit einem in Indien hergestellten Totimpfstoff gegen Covid-19.

Allerdings ergaben Zellkulturversuche eines Teams um Markus Hoffmann vom Deutschen Primatenzentrum in Göttingen, dass einige monoklonale Antikörper gegen SARS-CoV-2 die Variante B.1.617 nicht mehr gut neutralisieren können. „Eine Therapie mit den Antikörpern Casirivimab und insbesondere Bamlanivimab könnte daher für die Behandlung von Patienten mit B.1.617 nicht geeignet sein“, so die Forschenden. Zudem sind die immun-ausweichenden Effekte der indischen Variante insgesamt weniger ausgeprägt als bei der brasilianischen.

Dennoch raten Experten zur Vorsicht: „Alle nicht geimpften Personen und auch Personen, die bereits im vergangenen Jahr – insbesondere während der ersten Welle – an Covid-19 erkrankt waren, sollten weiterhin sehr vorsichtig bleiben, wenn jetzt eine weitere, sich schnell ausbreitende neue Variant of Concern wie B.1.617 auftritt“, betont Schultze. (Preprints 2021; bioRxiv doi: 10.1101/2021.05.08.443253; bioRxiv doi: 10.1101/2021.05.04.442663)

Quelle: bioRxiv, Robert Koch-Institut, Science Media Center

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